Vom Feiern und Erinnerungen schaffen

Es ist schon wieder eine Weile her, dass wir uns zum letzten Mal hier getroffen haben.

Wie hast du die ersten Mai-Tage und das lange Wochenende verbracht?

Ich hoffe, du hast ausreichend Schlaf bekommen, vielleicht sogar ein paar süße Nickerchen eingeschoben. Ich hoffe, du hast den unverwechselbaren Mai-Himmel mit seinem Blau und den Sahnekleckswolken genossen. Ich hoffe, du warst ein paar Stunden draußen in der Natur. Ob auf einem kleinen Stadtbalkon oder auf Wanderwegen durch die Wildnis. Ich hoffe, du hast dich beschenkt gefühlt. Vielleicht warst du ein paar Stunden schmerzfrei. Oder ein Freund hat unverhofft bei dir geklingelt. Oder du hast ein neues Buch angefangen und bist darin versunken. Oder du warst in einem Gottesdienst, der dein Herz zum Klingen gebracht hat. 

Diese Tage sind so grün und licht, dass sie den Augen wehtun. Sie duften süß und verkünden die Verheißung von Neuanfängen. 

Ich möchte dir ein wenig von unserem letzten Sonntag berichten. Es war ein außergewöhnlicher Tag.

Unsere große Tochter feierte ihre Konfirmation. Ein Jahr lang hatte sie sich mit einer Gruppe Konfirmanden und Konfirmandinnen auf diesen Tag vorbereitet. Was bin ich froh, dass es heute nicht mehr darum geht, den Katechismus auswendig zu lernen und mechanisch korrekte Antworten parat zu haben. Die Jugendlichen haben sich mit Glaubensfragen selbstständig auseinandergesetzt, sie durften sich ausprobieren, konträre Standpunkte einnehmen, verteidigen und aushalten. Was für eine großartige Übung fürs Leben. Alle haben sie am Sonntagmorgen in der lichtdurchfluteten Kirche ihren Glauben mit einem lauten „Ja, mit Gottes Hilfe“ bestärkt. 

Ich bin ja nicht nah am Wasser gebaut, aber ein paar Tränchen musste ich verstohlen aus den Augenwinkeln wischen. Da stand plötzlich ein sehr selbstbewusster, halberwachsener Mensch in langem Abendkleid und weißen Chucks vor mir, den ich doch erst gestern noch mit Möhrenbrei gefüttert und in den Schlaf gewogen hatte. 

Unsere Familien waren angereist. Aus Norddeutschland und aus Franken. Wir besetzten zwei Kirchenbänke und was freute ich mich, meine Geschwister mal wieder zu sehen.

Je älter wir werden, desto seltener sehen wir uns. Eingebunden in unsere eigenen kleinen Lebenswelten werden die Schnittpunkte weniger. Wir schmetterten alle sehr laut „Geh aus mein Herz und suche Freud‘“, denn das hatten wir schon als kleine Kinder in der Kirche getan. 

Paul Gerhardt hätte seine Freude an uns gehabt. 

Nach vielen kalten, verregneten Wochen schien an diesem Morgen die warme Sonne und wir streckten nach diesem herrlichen Gottesdienst die Gesichter gen Himmel, der uns an diesem Tage anscheinend mit dem Allerbesten überschütten wollte. 

In unserem Garten wartete eine lange Tafel auf uns. Tagelang hatte ich überlegt, nach dem Wetterbericht geschielt, geplant. Und alles lief genau so, wie ich es mir gewünscht hatte. Da saß ein kunterbunter Haufen von jungen und alten Menschen am Tisch. Lauter strahlende Gesichter. Freude. Und mittendrin die junge Konfirmandin, die von allen am meisten strahlte. Im Stillen dachte ich: Wie gut, dass es einen Tag gibt, an dem die Jugendlichen im Mittelpunkt stehen dürfen. An dem sie geehrt und beschenkt und gefeiert werden. Und wenn dieses Ehren und Feiern gut gelingt, dann ist das hoffentlich ein Ankerpunkt, an dem sie sich festhalten können, wenn das Lebensschiff mal wieder ins Schlingern gerät. Dann erinnern sie sich zurück an die Menschen, von denen sie beschenkt, gesegnet und geehrt wurden. Dann erinnern sie sich an die Worte, die ihnen zugesprochen wurden. Dass Gott nie von ihrer Seite weicht und sie unendlich lieb hat. Dass sein Ja für immer gilt. Besonders dann, wenn die Wellen hochschlagen. 

Wir sind an diesem Abend satt ins Bett gesunken. Mit einem Lachen im Gesicht, das gar nicht weichen wollte. Mit einem Glücksgefühl im Bauch, das bis heute andauert. 

Dieser Tag kommt in einen Goldrahmen. Ins Erinnerungsalbum der Familienchronik. 

Ich beende meine Blogbeiträge meist mit irgendeiner Botschaft. Ja, verzeiht mir,  ich kann es mir nicht verkneifen! Und was ist die heutige Quintessenz?

Vergesst das Feiern nicht!

Es muss keine lange, weißgedeckte Tafel im Garten sein. Feiern können wir so ziemlich alles. Dass Wochenende ist. Dass die Corona-Pandemie vorbei ist ( haben wir das eigentlich je gebührend gefeiert?). Wir können einen kleinen Erfolg feiern. Den ersten Zahn. Einen Menschen, den wir besonders lieben. Oder einfach nur so. Denn das Leben ist so verdammt kurz. Und wer weiß, wann und wo und ob wir mit unseren Lieben wieder genau so zusammenkommen werden?

Deshalb: Lasst uns jede Gelegenheit am Schopf packen und ein paar Croissants und eine Zitronenlimonade auf den Tisch stellen und 90er Jahre Hits auflegen und so tanzen, als würde niemand zusehen. 

Wir feiern nicht, weil wir naiv sind und die Augen verschließen.

Im Angesicht von Alltagssorgen und Nöten feiern wir, weil wir dem Dunkel etwas entgegenzusetzen haben: Hoffnung.

3 Kommentare zu „Vom Feiern und Erinnerungen schaffen

  1. Wir feiern in unserer WG Geburtstage, alle möglichen Feiertage unserer unterschiedlichen Religionen, jede Woche Schabbat, eine neue Arbeitsstelle, Besuche von weit her, Jubiläen … Und auch für traurige Anlässe (Todestage) haben wir feste Rituale…

  2. Welche wunderschönen Bilder und Momente die du so grosszügich teilst, vielen Dank!!Ja, das Feiern will ich wieder mehr in den Blick nehmen, egal was,unser Gott meint es so gut mit uns!! Bleib behütet und voller Segen, Elisabeth

Kommentar verfassen