

In den vergangenen Sommern wurde es mir zur Tradition ein Herbst-Strickprojekt auf die Nadeln zu schieben. Letztes Jahr strickte ich unter der toskanischen Sonne und im Schwimmbad an einer Strickjacke, die mich dann den ganzen Winter begleitete und wärmte, als hätte sie die Hitze des Sommers in ihren Fasern gespeichert. Vor zwei Wochen schlug ich die Maschen zu einem Schultertuch an. In Rostrotbraun. Passend zu den Farben des Herbstes. Mit Blattmuster. Und riesig sollte es werden!
Ein neues Strickprojekt entzückt mich, da lasse ich alles andere stehen und liegen, sogar Netflix. Nach sieben oder acht Jahren Strickerfahrung kann ich Strickmuster lesen wie andere Programmiersprache oder Morsecode. Und alles hatte mit einem simplen kraus rechts gestrickten Loopschal begonnen, der größere Löcher aufwies als die durchgewetzten Socken meiner Kinder. Ich kann es heute noch nicht glauben, dass ich mittlerweile Pullover….PULLOVER!!!! stricken kann.
Ich hatte die achtseitige Anleitung vor mir liegen und die ersten Reihen in der Hand und es dämmerte mir: Du hast dich noch nie an ein so kompliziertes Strickprojekt gewagt! Da saß ich also mit hochgezogenen Schultern in meinem Sofaeck, den starren Blick auf die Nadeln, ich murmelte vor mich hin, niemand durfte mich ansprechen, denn sonst musste ich wieder alles auftrennen und von vorne beginnen (Was mir allerdings auch ohne jegliche Ablenkung passierte). Die komplizierten Vorgänge kosteten ungeheuerlich viel Zeit und würde ich in diesem Schneckentempo weiterstricken, dann könnte ich mich erst im Herbst 2027 in den Schal hüllen können.

Die konzentrierte Stirnfalte wurde so dick wie eine Raupe. Warte, 16 Maschen rechts, dann zwei Maschen links verschränkt zusammenstricken, Umschlag, jetzt tiefer einstechen, rechts abstricken uuuuuund jetzt müsste ich 181 Maschen auf der Nadel haben. Ich habe GENAU mitgezählt!
Es waren dann doch wieder 183 oder 179 und ich schleuderte das Woll-Nadel-Knäuel zurück in seinen Korb, wo ich es einen Tag lang strafend ignorierte, bevor ich es wieder hervorholte, auftrennte und von neuem begann.
Das hier war schon lange keine Freude mehr. Nur noch Last.
„Niemand zwingt dich, dieses Tuch zu stricken,“, flüsterte eine leise Stimme in mir. „Du könntest ein einfacheres Tuch mit derselben Wolle stricken.“ „Still!“ befahl mein angeknackster Strickstolz. Unbeeindruckt wisperte die Stimme weiter: „Ein einfaches Tuch hätte auch den Vorteil, dass du dich beim Stricken mit deinen Lieben unterhalten kannst, du könntest dabei aus dem Fenster schauen, du würdest wieder atmen und bessere Laune haben.“
Eine Woche später knickte ich ein. Ich war keine Reihe weitergekommen. Der Herbstblätterprototyp auf der Anleitung sah meinem Machwerk in keinster Weise ähnlich. Ich zog die Nadeln aus den rostroten, hart erkämpften Maschen und mit einem erlösenden Sirren lösten sie sich in einen simplen Wollfaden auf, der sich auf meinem Schoß kräuselte. Ich rollte ihn ordentlich auf und schlug die ersten 17 Maschen eines neuen Schultertuches in Kraus-Rechts an. (Für den Nicht-Stricker: Das ist eine der einfachsten Strickvarianten mit absoluter Gelinggarantie.)
Ach, zu gerne hätte ich das Lob und die Ohs und Ahs kassiert für ein atemberaubendes Schultertuch! Ich hätte es mit bescheidener Prahlerei auf Social Media gezeigt und mich in Bewunderung für mein KÖNNEN gesuhlt. Aber die Rückkehr zur Einfachheit gab mir meinen Seelenfrieden zurück, den ich für kein Oh und kein Ah wieder hergeben will.
Gestern las ich die Stelle im Matthäusevangelium, wo Je…