
Jeden Tag passiert es um 17 Uhr.
Ich werde fürchterlich unruhig. Muss ich denn nicht noch etwas tun? Manuskripte überarbeiten? Eine Kolumne oder Rezension schreiben? Bestellungen bearbeiten? Vorträge vorbereiten?
Das neue Jahr beginnt in der evangelischen Kirche am 1. Dezember. Und bei mir irgendwie auch. In den letzten Jahren habe ich es mir zu Eigen gemacht, meine Arbeit so zu takten, dass ich im Dezember meine Schreib- und Vortragsarbeit ruhen lassen kann. Soziale Medien schalte ich aus bis ins neue Jahr. Wir dürfen immer aus der Ruhe heraus etwas Neues beginnen. So wie auch die Woche eigentlich nicht mit dem hektischen Montag anfängt, sondern mit dem stillen Sonntag.
Und dieses Jahr reduziere ich weiter. Ich werde weniger backen (Ha! Ich höre schon meine Kinder empört aufschreien). Ich dekoriere ein bisschen weniger. Vieles von meiner Adventsdeko habe ich gespendet. So kann ich das, was wir in dieser Zeit tun, mit voller Aufmerksamkeit erledigen und genießen.
Mit der Stille wird Raum um mich herum. Und dieser Raum irritiert mich immer in der ersten Adventswoche. Ich fühle mich wie eine 100-Meter-Läuferin, die Ende November ausgepumpt und keuchend über die Ziellinie schießt und dann noch einige Meter weiterrennt.

Daher also die Unruhe ab 17 Uhr. Und meine Unfähigkeit, die Ruhe, den Raum zu genießen. Das Gute darin zu empfangen. Ich habe einen anstrengenden Lauf hinter mir. In diesem Jahr steckte viel Arbeit, viel emotionale und kreative und physische Anstrengung.
Heute ebbt meine Rastlosigkeit ein wenig mehr ab. Ich schaffe es, die verwüstete Küche hinter mir zu schließen, mich an den Laptop zu setzen und zu schreiben. Das hier fühlt sich nicht wie Arbeit an, sondern wie ein äußerst vergnügliches Treffen mit Freunden: Mit den Buchstaben und mit dir. Mit einer Tasse Kaffee und den übrig gebliebenen Marzipankartoffeln vom Sendelbacher Adventsmarkt.

Und das erinnert mich daran, dass die Adventszeit ja nicht nur eine Zeit des Wartens (und Fastens wie früher) ist, sondern auch eine Zeit um das Gute zu empfangen und weiterzugeben. Vielleicht ist das Empfangen und Weitergeben in den letzten Jahrzehnten ausgeufert und hat uns abgestumpft.
Ist es diese Abgestumpftheit gepaart mit der Hektik und Überfrachtung in dieser Jahrezszeit, die es uns so schwer macht, im Augenblick zu sein?
Heute Vormittag nehme ich mir einen Korb und die Gartenschere. Ich ziehe dicke Socken an und meine alten Gummistiefel. Draußen zieht ein neuer grauer Tag auf, üppig garniert mit Nebel und Nässe. Hinter unserem Haus wachsen Fichten, Eiben und mehr Efeu als man zählen kann. Die Zweige wandern in meinen Korb. Ich fülle meine Lungen mit kalter Luft. Über mir schwingen sich Krähen in die Luft, zerreißen mit ihren Schreien die Stille. Zum ersten Mal an diesem Tag – ach was, in der ganzen Woche! – bin ich ganz bei mir. In diesem Augenblick. Und ich staune über die Schönheit, die sich nur zögerlich zeigt. Sie erinnert mich an die Art von Schönheit, die in Zeiten von Trauer manchmal ganz unwillkürlich aufblitzt und die einem für eine Sekunde den Atem raubt und Hoffnung zurückgibt. Die einen auf einem grauen Bahnhof anrührt. In einem düsteren Industrieviertel.




Um diese Art von Schönheit zu empfangen brauchen wir offene Augen und Ohren und Arme.
Oder wie Sarah Bessey schreibt:
Advent matters because it is our way of keeping our eyes, our hearts and our arms wide open.
In unserer angeknacksten Welt scheint immer und immer wieder etwas von Gottes Schönheit und Liebe durch. Und im Advent sind wir ganz nah dran. An dieser Liebe und Schönheit. Wenn alles wegfällt, was uns ablenken will. Wenn wir uns gestatten, von unserer Betriebsamkeit zu lassen. Wenn wir unsere Handys weglegen und uns auf das Wesentliche beschränken.
Ich klinge wahrscheinlich wie eine Schallplatte mit einem dicken Sprung. Jedes Jahr erzähle ich dir Ähnliches. Und vielleicht erzähle ich es gar nicht in erster Linie dir, sondern mir selbst.
Denn ich bin ein Mensch, der es immer wieder von vorne lernen muss. Neu praktizieren.
Und – oh, es lohnt sich so – deinen müden Augen mehr Schlaf zu gönnen, damit sie wieder besser sehen. In deinem Herzen ein Eck freizuräumen, in dem Freude und Liebe Platz nehmen können. Und deine verkrampften Arme zu lockern, die hochgezogenen Schultern sacken zu lassen, damit du wieder atmen kannst.

Machen wir in dieser Zeit nicht nur “die Tore hoch”, sondern auch Raum in unserem Leben. Vielleicht geht es dir dann wie mir: Du wirst erstmal Unruhe spüren. Aber halte sie aus, denn bald wird sie weichen. Mit jedem Tag wirst du dich mehr und mehr beschenkt fühlen anstatt beraubt. Und dann wirst du den Wunsch verspüren, auch andere zu beschenken. Vielleicht viel weniger mit Materiellem, sondern mit Zeit. Mit Zuhören. Mit einer Karte. Einem Brief. Einer Umarmung. Mit Nachfragen. Mit einer liebevollen Geste und Plätzchen.

Ich glaube, dass sich im Advent unser Hunger stärker zeigt als sonst.
Nicht der Hunger nach Lebkuchen und Glühwein, sondern nach Verbundenheit, nach Heilung, nach Sinn, nach Ruhe. Und vielleicht sind wir ja berufen (wie selten nehme ich dieses Wort in den Mund, weil es so schrecklich inflationär geworden ist), genau in dieser Zeit es Gott ein wenig nachzumachen.
Einander zu beschenken mit dem, wonach wir wirklich hungern.

Ideen für deine Woche:
Backe Plätzchen, packe sie in hübsche Tüten und schenke sie deinen Postzustellern und den Angestellten der Müllabfuhr. Wenn es deine finanzielle Lage erlaubt, lege Geld mit dazu.

Verbringe einen stillen Vormittag oder Nachmittag im Wald. Werde dir bewusst, dass Gott für die Bäume, die Sträucher, die Vögel sorgt. Und für dich. Auch im Winter.

Biete eine Lichtstube an: In vielen Gegenden Deutschlands war früher die Lichtstube ein Brauch in der Winterzeit. Menschen kamen in einem Wohnzimmer des Ortes zusammen. Meist um gemeinsam Handarbeit zu verrichten. Und um Kohle und Licht zu sparen. Dabei entstanden viele der Märchen und Erzählungen, die wir heute noch kennen. Lichtstuben waren Erzählgemeinschaften und ein kleines Heilmittel gegen Einsamkeit.

Streiche eine Sache aus deinem Terminkalender. Etwas, worauf du verzichten kannst.
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…..danke dir liebe veronika….
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annette