Ein simples Leben

Am Samstag erhielt ich eine Sprachnachricht meiner Schwester. Wir werfen sie uns gegenseitig zu wie Bälle. Während ich in der Suppe rühre und Zwiebeln hacke höre ich zu, welche Bücher meine Schwester gerade liest und wie es ihren Kindern geht und was sie gerade empfindet. “Ich trau es mich kaum zuzugeben, aber ich hoffe ja, dass mein Alltag nach der Corona-Krise so ähnlich aussieht wie jetzt. Zwangsentschleunigt. Einfacher. Wahrscheinlich bin ich die Einzige, die so fühlt. Verrückt.”

“Nein!”, rief ich, während ich mittlerweile eine Zucchini mit dem Küchenmesser traktierte. “Wir sind schon zwei!” Dieses reduzierte Leben, dieses einfache, konsumentleerte Leben mit seinem sehr klar vorgegeben Rhythmus tut mir ebenfalls in Herz und Seele gut.

Irgendwann vor ca. 10 oder 12 Jahren fing es an. Ich verspürte eine tiefe Sehnsucht nach dem einfachen Leben. Einen neuen Rhythmus wollte ich meinem Leben verpassen, mehr Kreativität, mehr Handgemachtes, mehr Natur, mehr Weniger. Mutterwerden kann so etwas mit einem machen…..

Ein einfaches Leben, das aber viel Arbeit bedeutete, wie ich in den folgenden Jahren lernte. Einfach hieß nicht leicht und schnell. Es ist leichter, kaputte Kleidung zu entsorgen und neu zu kaufen, anstatt das Flicken zu lernen und anzuwenden. Es ist leichter, die Wäsche schnell in den Trockner zu werfen, anstatt sie auf die Leine zu hängen. Es ist leichter, seine Tomaten im Supermarkt zu kaufen statt sie auf der Fensterbank vorzukeimen und dann nochmal vier Monte zu warten, bis sie im Garten Früchte tragen. Es ist leichter, seinen Beziehungshunger oberflächlich zu stillen anstatt die harte Arbeit der Beziehungspflege in der Nachbarschaft zu tun. Es ist leichter, eine Fertigpizza in den Ofen zu schieben als täglich von Hand zu kochen. Es ist leichter, den alten Lebensstil weiterzuführen, der unsere Herzen hungrig lässt und den Planeten schwer belastet anstatt umzudenken und die vielen kleinen Schritte aus der Bequemlichkeit hinaus zu tun.

Und doch, genau das wollte ich: Die harte Arbeit tun. Die vielen tausend kleinen Schritte. Das einfache Leben ist meist nicht das Ergebnis einer einzigen leichten und schnellen Aktion, sondern ein jahrelanger Prozess, genährt von den Erfahrungen und dem Wissen unserer Vorfahren. Bei mir fing er an mit Tomatensamen auf der Fensterbank und einem selbstgenähten Kissen und dem Kennenlernen meiner Nachbarschaft. Oft braucht es nur einen winzigen Schritt, der automatisch die weiteren Schritte nach sich zieht.

Das einfache, simple Leben ist kein Lifestyle, den wir uns einfach so überziehen können wie überteuerte Fair-Trade-Klamotten. Er ist kein Filter, der unser Leben in ein beneidenswertes harmonisch-minimalistisch-pastelliges Licht taucht. Sondern die harte Arbeit der sich täglich wiederholenden Rhythmen, des Lernens, des Verzichts, des Ausprobieren, Scheiterns und Weitermachen. Des Hinhörens, was wir von den Alten und Stillen und Treuen lernen können.

Ich ziehe Resümee aus dem vergangenen Jahr und heute bin ich wesentlich stiller, was die positiven Seiten dieser Zeit betrifft. Denn ich kenne zu Viele, die an den Herausforderungen schier zerbrechen, deren finanzielle Existenz und Gesundheit bedroht ist. Ich kenne meine eigene Sorge um die Gesundheit meiner Lieben. Ich habe die hässlichen, spaltenden Seiten von Verschwörungstheorien kennengelernt.

Ich stelle fest: Nie war es leichter für mich, dieses einfache Leben zu führen, als im vergangenen Jahr. Diese Zwangsreduzierung aufs Wesentliche. Bodensee statt Balearen. Das Glück des eigenen Gartens. Keine Shoppingtouren. Keine unnötigen Ausgaben. Dieses Auskosten jeder einzelnen Begegnung! Mit den Nachbarn ums Lagerfeuer sitzen. Bücher lesen. Soviele Bücher. Wanderungen. Natur statt Vergnügungspark. Mit dem, was wir haben, unseren Lebensraum zu gestalten. Zeit für die Kinder.

Mir geht es wie meiner Schwester. Ich möchte dieses simple Leben mitnehmen in die Zeiten, wenn sich alles wieder beschleunigen wird. (Auch wenn ich nicht immer jeden kleinen Schritt tun kann, weil es manche Tage dann doch erfordern, eine Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben).

Wie wäre das, wenn wir auch zukünftig weniger reisten und stattdessen unsere Umgebung besser kennenlernten? Wurzeln schlagen? Wenn wir uns weniger um uns selbst drehten, um unsere Bedürfnisbefriedigungen? Wenn wir jede Begegnung feierten? Wenn wir ganz im Vertrauen lebten, dass ein simples Leben genügt, weil wir hier und jetzt am richtigen Ort sind? Wenn wir weiterhin unsere Geschäfte, unseren Hofladen vor Ort unterstützten? Wenn wir weiterhin sehr viel weniger konsumierten? Wenn wir weiterhin mit dem zurecht kämen, was wir bereits besitzen?

Für mich klingt das nach einer Zukunft, die sich sehr viel richtiger und vernünftiger anfühlt. Eine, die nicht an ein grenzenloses Wachstum glaubt, sondern an freiwillige Begrenzung. Ein simples, einfaches Leben ist letztendlich kein Feel-Good-Selbstzweck, sondern Solidarität mit unserem Nächsten, mit unserem Nachbarn, mit unserer Schöpfung. Eine demütige Verneigung vor unserem Schöpfer.

Dieses einfache, simple Leben möchte ich weiterhin. Auch noch in zwanzig Jahren, wenn es schon lang wieder aus der Mode und Corona nur noch eine Fußnote der Geschichte ist.

17 Kommentare zu „Ein simples Leben

  1. Danke für deine wahren Worte! Ich kann dies nur bejahen. Ich merke zusätzlich noch, dass es mir mit meinem chronischen Rheuma besser geht, weil man nicht mehr auf allen Hochzeiten tanzt und mehr Zeit für sich hat und die vorhandenen Kräfte nur dafür verwenden kann, anstatt so mit dem halben Hintern auf Veranstaltungen zu hängen, weil man genau überlegen muss wofür die Kraft reicht.

  2. So schön dein Text! Diese Zwangspause ist für mich auch Luxus, plötzlich ist jeden Morgen Zeit für eine intensive Gebetsgemeinschaft mit drei Frauen. Das trägt uns durch die Zeit. Es Zeit zum einkochen, Gemüse vorziehen, Brot backen … das ist toll und darf gerne so bleiben.

  3. Welch Freude, deinen Beitrag und die Kommentare zu lesen. Du sprichst mir aus dem Herzen. Ich genieße es nun endlich, mich nicht immer entschuldigen zu müssen für meinen Einfachen, “reduzierten”Lebensstil. Das einfache Leben ist so befreiend und macht dazu auch richtig Spaß. Schön zu wissen, dass es andern gleich geht. Grüße

  4. Ja,vielen Dank,du packst die Gedanken in so schöne Worte!Eigentlich müsste ich mir eine Liste machen mit den Dingen die ich mitnehmen will ,in die Zeit nach Corona, anstatt zu überlegen, was mache ich wenn endlich wieder alles erlaubt ist 😉

  5. Es ist so wahr und wieder sprichst Du mir aus der Seele. Ich genieße die Zeit seit dem ersten Lockdown erstaunlicherweise auch und vermisse (fast) nichts. Mir tun die Leid, die grad soviel vermissen. Ich finde die meisten haben dabei Angst davor sich mit sich selber und seinen Familien auseinanderzusetzen und zu beschäftigen…. leider.

    1. Danke dir.
      Ich vermisse schon einiges: Feste, Großfamilie, die Freunde in den Arm nehmen. Aber es lässt sich aushalten, weil ich weiß, dass dieser Zustand nicht ewig andauern wird.
      Jeder von uns ist in ganz anderen Lebensumständen, jede Seele ist einzigartig gestrickt und geprägt, jede Lebensgeschichte ist anders und deshalb möchte ich nicht den anderen, der etwas vermisst bemitleiden, sondern verstehen. Das wäre doch der bessere Weg…..

    2. Mir tut es auch weh, wenn ich im Kindergartenumfeld sehe, wie Familien leiden, weil ihre Kinder ihnen zu viel sind. Vermutlich weil die Belastung zwischen Arbeit, Kindern, Haushalt, Partnerschaft UND Pandemie zu viel ist? Vielleicht auch deshalb, weil sie gar nicht wissen, was sie miteinander anfangen sollen? Vielleicht, weil sich mit ihnen früher auch niemand beschäftigt hat? Vielleicht weil unsere Gesellschaft es uns leicht macht, uns nicht mit uns selbst zu beschäftigen, weil es so viele andere Dinge gibt, die uns beschäftigt halten – Freizeitparks, tolle Angebote auf Stadtfesten für Kinder, Sport- und Musikangebote… die Liste ist lang.
      Ich bin dankbar, dass ich “langsam” aufwachsen durfte und mir so viele Wurzeln mitgegeben wurden, dass ich jetzt mit meinen Kindern “aus dem Vollen” schöpfen kann. Und nicht zu vergessen: Ich darf in Elternzeit sein. Auch das macht einen großen Unterschied, langsam leben zu können.
      An alle Eltern da draußen, die so viele Rollen inne haben, wie oben beschrieben und vielleicht noch mehr? Ich wünsche Euch Kraft! Eine ganze Tonne davon!

  6. JA, JA, JA!!!! Sooo ein guter Text mit so wertvollen Erlebnissen und Gedanken. Mir geht es ähnlich. Wir sind auch als Familie sehr zusammen gewachsen und verbringen viel Zeit zusammen. Und mittlerweile ist es für unsere Kinder ungewohnt oder eben nicht ‘normal’ in den Kindergarten zu gehen, sondern zu Hause zu sein. Ich mag das irgendwie.

  7. Dein Text spricht mich sehr an und ich kann fast alles unterstreichen und nachfühlen. Aber manchmal frage ich mich, ob wir Mitvierziger wirklich auch so denken würden, wenn wir unsere freien, wilden, vollgepackten, tollen Jahre zwischen 20 und 30 mit all den vielen Reisen um die Welt, den Feiern, Aktivitäten und Erlebnissen nicht gehabt hätten?! Wären wir dann die, die wir sind und würden wir wirklich sagen, dass wir nun nur noch ein einfaches, simples Leben leben wollen? Die Vergangenheit hat aus uns das gemacht, was wir sind. Ich wünsche der jüngeren Generation also ehrlich gesagt dennoch -mit sicherlich (bitte) mehr Umsicht und Nachdenken (Klima!), als wir das getan haben- ein großes Stück von dem Leben, das ich leben durfte, damit sie irgendwann ebenfalls aus diesen Jahren und Erfahrungen zehren kann.

    1. Liebe Daniela, das ist ein interessanter Punkt, über den ich nachdenken möchte. Ich glaube aber auch, dass im Alter oft die eigene Prägung durchbricht. Ich bin auf dem Land groß geworden mit Eltern, die sehr sparsam lebten, vieles selber machten und schon in den frühen 80ern mit der Ökobewegung liebäugelten. Da wird etwas in einem angelegt, das dann später zum Blühen kommt. Aber ich glaube auch, dass es eine Rolle spielt, wenn man sich in seinen jungen Jahren nach Herzenslust ausleben konnte (so wie ich ;))

    2. Ich finde mich leider immer seltener in den Beiträgen. Wo ich sie sonst gerne gelesen habe. Ich bin absolute Gegnerin dieser Politik! Ich bin Maßnahmengegnerin. Keine Corona-Leugnerin, keine Verschwörungstheoretikerin und schon gar nicht rechtsgerichtet! Wir hatten bis vor 1 Jahr ein sehr aktives Leben mit sehr vielen Hobbies und Kontakten. Wir haben es uns so ausgesucht und so genossen. Seit 1 Jahr sind wir nun fremdbestimmt! Ihr hattet vor Corona schon die Wahl zu entschleunigen! Ihr hattet die Kontrolle über eure Termine! Schade, dass du es gut findest, dass uns deine bevorzugte Art zu leben aufgezwungen wird! Denn ich habe hierbei selten die Wahl! Ich kann natürlich meine Tochter jeden Tag zur Schule schicken, allerdings wird sie jeden 2. Tag wieder heim geschickt. Ich kann unseren Sohn jeden Dienstag zum Kindertreff ins Gemeindehaus bringen, aber wir stehen dann vor verschlossener Tür. Und das für 0,035% Infizierte! Noch nicht mal Kranke, “nur” Infizierte! Ihr hattet schon früher die Wahl, aber ich will mein Leben zurück.

      1. Liebe Olga,
        es tut mir sehr leid, dass die Situation für dich schwer ist und du dich nach deinem alten Leben sehnst.Es tut mir leid für alles, was du aufgeben musstest. Ich glaube, dass wir alle ein Stück unseres alten Lebens zurück wollen. Ich ziele auf krankmachende Hektik, Terminüberfrachtung und auf den- vor allem für uns introvertierten Menschen schwierigen – schnellen, lauten Lebensstil ab. Es liegt mir fern, Corona zu glorifizieren, aber es gibt uns doch eine nötige Atempause um zu evaluieren, wie wir danach leben wollen. Wir könnten lernen, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen.
        Ja, ich vermisse auch meine Kontakte, mein Herz blutet für meine Kinder, die schon so lange auf so Vieles verzichten müssen. Und doch: Ich möchte mich in meinem Blog ganz bewusst gegen Bitterkeit stemmen, mitten im Schrecklichen Schönes entdecken, ohne mir alles schönreden zu müssen. Je älter ich werde, desto mehr lerne ich, dass tiefe Nöte in direkter Nachbarschaft zu unerwarteten Segensmomenten stehen können. Dass Schwieriges und Leichtes nebeneinander steht.
        Ich glaube, dass wir das leichter entdecken können, wenn wir ein wenig von Anspruchshaltungen abrücken und uns auf dieses Leben einlassen, das wir heute leben.
        Ich wünsche dir von Herzen, dass du Frieden in dieser Situation findest und wir alle in hoffentlich sehr naher Zukunft wieder ein Stück freier atmen können.

      2. Liebe Olga
        Dein Kommentar bewegt mich sehr!!! Ich denke ganz viel darüber nach und mein Herz blutet für Dich und all die anderen Familien, die gerade darunter leiden, dass das Leben so eingeschränkt ist und viele Hobbys nicht ausgelebt werden können bzw. nicht ausgelebt werden dürfen.
        Ich bin auch eine von denen, die das langsame Leben toll findet. Und in der Vor-Corona-Zeit fand ich es manchmal schwierig, so zu leben, wie es mir gut tut – eben etwas langsamer. Aber Du hast recht. Ich hatte die Wahl! Und ich werde sie wieder haben…
        Dass Du und Deine Familie gerade keine Wahl haben – und das schon so lange – das tut mir wirklich leid!
        Danke, dass Du mir geholfen hast, meinen Blick zu weiten!
        Viel Kraft Dir!
        Liebe Grüße
        Tabea

  8. Wieder Balsam für meine Seele. Ich möchte kein anderes Tempo mehr, keine vollen Kalendertage (wobei ich dankbar bin für meinen Arbeitsplatz, der trotz und mit Corona steht – viel abverlangt…), vieles fehlt mir nicht, manches schon – Beziehung, Nähe – als Alleinerziehende so wichtig. Einfach ist gut und tut gut – so wie es geht. Liebe Grüße von der Ostsee Kerstin

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