Von Frisörterminen und der Apokalypse

Ich war gestern beim Frisör. Als hätte ich eine leise innere Ahnung besessen, vereinbarte ich diesen Termin bereits vor zwei Wochen. Es herrschte kein Massenansturm und mein Frisör, ein Meister in seinen 60ern, versprühte stoische Ruhe und trockenen Galgenhumor. Ich genoss JEDE MINUTE. Den Kaffee. Den Smalltalk. Die Gala-Zeitschrift, die ich immer nur beim Frisör lese. Die Hände, die meinen Kopf massierten. Die hin- und herfliegenden Witze. In fröhlicher Laune kaufte ich am Ende noch ein völlig überteuertes Produkt für die langen, wilden Haare meiner Mädchen. Ich hab noch nie Haarprodukte beim Frisör gekauft. NOCH NIE. Wieso soll ich 18 Euro für ein Shampoo ausgeben, wenn ich beim Drogeriemarkt dafür 4 Shampoos UND eine Packung Ohropax bekomme? Aber angesichts des anstehenden Lockdowns ließ ich all meine Geiz-Prinzipien fahren.

Angesichts der hohen Fallzahlen müssen wir uns erneut zusammenreißen, auch wenn wir auseinanderfallen wollen, nicht wahr? Der Frisörmeister schließt heute früh nicht auf. Und auch so viele andere nicht. Meine Kinder bleiben in ihren Betten liegen anstatt im Dunklen lustlos zur Schule zu schlurfen. Und ich? Ich sitze hier orientierungslos Punkt 6 Uhr auf der Couch, weil mich meine innere Uhr, dieses dämliche Ding, aus dem Bett fegte. Nun habe ich das, was ich mir immer sehnlichst um diese Jahreszeit gewünscht hatte. Ruhe. Zeit. Langsamkeit.

Ein Ja, aber schwingt mit. Unruhe zerrt an meiner Seele. Wie wird es denn weitergehen? Ein Virus hat uns unser Lebensskript aus der Hand genommen. Es ist ja in der Theorie für einen Gläubigen eine feine Sache, nicht wahr? Jetzt haben wir die Chance, mit leeren Händen und sorgenvollen Herzen uns Gott zuzuwenden! Jetzt kann er die Kontrolle übernehmen! Aber in der Praxis ist das gar nicht so leicht, liebe Leute. Weil wir sicherheitsliebenden Menschen mit der Unberechenbarkeit des Lebens konfrontiert sind. Weil Gott uns diese Unberechenbarkeit zumutet, anstatt seinen wundervollen Plan mit uns effizient zu entfalten. Der Virus ist immer noch da. Trotz aller Gebete. Kann ein Virus Teil des Planes sein? Oder passieren einfach Dinge, weil sie passieren, ohne sie mühsam in das Wirken Gottes einordnen zu müssen? Es zeigt mir, dass weder Gottes Wirken, noch sein Plan, noch unser Leben linear verlaufen, sondern wie Zickzacklinien, die abbrechen, woanders wieder ansetzen und manchmal gar nicht viel Sinn ergeben.

Vielleicht liegt ja darin auch eine große Erleichterung und eröffnet neuen Raum zur Hingabe. In diesen Tagen lerne ich neu, dass mein Glaube soviel mehr als nur eine Bewältigungsstrategie für schwierige Zeiten oder ein Erklärungsmodell ist, sondern ein Ort, an dem ich sicher bin, auch wenn der Sturm tobt. Ich glaube ja, ein reifer Glaube ist keine beleidigte apokalyptisch gefärbte Protesthaltung, sondern ein stilles Hineinsterben in eine unbegreifliche Hand Gottes, die nur Gutes will.

Und was tue ich, wenn die Sorgen nach meinem Herz greifen wollen? Meine beste Therapie ist die langsame Arbeit meiner Hände, das rhythmische Klappern meiner Stricknadeln, das langsame Kneten des Brotteigs, das Fegen des Schuppens, das Anzünden des Feuers, das Schreiben von Karten. Ich möchte die nächsten Tage noch ein paar ganz simple Ideen und Rezepte hier posten, so dass unsere Hände (und Kinder) beschäftigt bleiben und unsere Herzen zur Ruhe kommen. Wie wäre das?

Auch wenn ich Zeiten der Ungewissheit entgegen gehe, so tue ich das wenigstens mit einer neuen Frisur. Hauptsache, die Haare sitzen bei der Apokalypse. Ich schlag dieses Motto mal meinem Frisörmeister vor. Und dann können wir in ein paar Monaten hoffentlich bei einer Tasse Kaffee darüber lachen.

11 Kommentare zu „Von Frisörterminen und der Apokalypse

  1. Liebe Veronika Smoor, schon lange bin ich Mitleserin deines Blogs, vielen Dank für die ermutigende Worte, sie tragen mich durch diese ungewisse Zeiten durch!
    Ich freue mich schon auf deine einfachen Rezepte, damit unsere Hände etwas zu tun haben;-)
    Steffi Decker

    1. Vielen Dank für deinen Beitrag….einfach wunderbar ☺️ ich freue mich auch schon auf die langsamen Rezepte und Ideen!
      Lg Daniela

  2. Auch ich möchte Dir danken für deine Worte, die Trost spenden und vermitteln, dass ich nicht alleine bin mit meiner Ungewissheit. Und auch ich freue mich auf deine kommenden Inspirationen. Lg aus dem Hessen-Ländle, Simone

  3. Ein sehr schöner Artikel, der für mich die gefühlte Situation und die Gedanken dazu sehr gut in Worte fasst. Ja, versuchen die Hände in Bewegung zu halten und das Herz zur Ruhe kommen zu lassen in der Zeit des Advents, des Wartens, des Abkommens.

  4. Nicht allein sein mit unsicheren Gedanken. Und ich freue mich auf deine Inspiration. Jetzt werde ich eine Runde arbeiten gehen und hoffe nicht allzusehr dem Thema und dem Virus ausgesetzt zu sein. Freue mich das Junior fast mit den Aufgaben für heute fertig ist. Nervenwachatumsmittel das wäre klasse…

  5. Liebe Veronika, ja das mit dem Friseur wäre auch für mich schön gewesen, aber den konnte ich leider nicht mehr besuchen gehen, denn wir sind seid Montag im Harten Lockdown. ( ich komme aus Sachen)
    Umso mehr konnte ich mich in Deine Momentbeschreibung beim Friseur wiederfinden. Ich liebe es auch zu schwätzen, Cappuccino zu trinken u Zeitungen zu lesen d ich nicht zu Hause habe u mit einem neuen Gefühl den Friseur zu verlassen.
    Mein Glaube wird zur Zeit auch stark herausgefordert. Ja es ist eine schwierige Zeit, ich versuche dem Ganzen einen Sinn zu zu ordnen u doch komm ich zu keinem Ergebnis. Glauben u Vertrauen das Gott über alledem steht u alles in seinen Händen hält wird zum zentralen Punkt meines Seins und dass ER in meinem Alltag ist, hilft mir ihm zu vertrauen. Er steht mir zur Seite, ist eine wunderbare Erfahrung, die mich in meinem Glauben stärkt. Er ist da! Ich fühle mich geborgen. Und wie Du es so schön beschreibst, man kommt so langsam zur Ruhe. Die Bewegung werden ruhiger. Wo ich früher alles mit Schnelligkeit erledigen wollte, so kommt doch jetzt alles in mir zur Ruhe. Mein Tun wird langsamer, bedächtiger, beständiger. Und ich beobachte dies auch an meinen Kindern und das ist sooo schön.
    Ich freue mich jetzt schon auf Deine Ideen, denn neben Homeschooling u Kleinkind ist es für mich eine Abwechslung etwas neues auszuprobieren.
    Liebe Veronika, ich Danke Dir von Herzen für Deine Impulse u Gedanken die Du mit uns teilst u ich wünsche Dir noch eine gesegnete Adventszeit u ein fröhliches, besinnliches Weihnachtsfest mit all Deinen Lieben!
    Liebe Grüße aus dem Erzgebirge von Kerstin

  6. Hauptsache, die Haare sitzen bei der Apokalypse!! Herrlich! Ich danke Dir für diese Zeilen, drücken sie doch so gut die Zerrissenheit vieler momentan aus. Ich habe leider keine Ruhe, weil ich viel arbeiten muss … so sehnt sich jeder nach dem, was sie oder er nicht hat, nicht wahr?

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