Von Träumen, Dreck und harter Arbeit

Lasst euch was gesagt sein: Legt niemals Renovierungsprojekte in die Adventszeit.

Ich habe das für euch getestet und kann nun berichten, dass Renovierungsarbeit schmerzhaft mit dem Verlangen nach familiär-idyllischer Adventszeit kollidiert.

Traum: Ich habe bereits zum ersten Advent acht Plätzchensorten gebacken, Fenstersterne mit den Kindern gebastelt, wir sitzen jeden Nachmittag punschtrinkend bei brennenden Kerzen und baldowern Geschenke aus.

Realität: Ich stehe farbverschmiert auf dem Dachboden. Die Kinder sind tagelang sich selbst überlassen und nutzen diesen glücklichen Umstand, um ihre Geschwisterrivalitäten ungestört zu vertiefen. Zum Abendessen gibt’s Fertigpizza.

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Vor zwei Jahren hatten wir einen Traum. Den Traum von diesem Haus hier. Ich hätte es besser wissen müssen. Und zwar, dass Träumen immer viel schmutzige, harte Arbeit folgt und dass mir deren Erfüllung nie einfach so in den Schoß fällt. Wir träumten von einem Haus mit Holzböden und einer Landhausküche, in das wir Freunde einladen. Ein Haus, in dem Vollblutleben stattfindet. Ein Ort, der uns Rückzug bietet, wo wir und andere Heilung und Freundlichkeit erfahren, wo wir unser ganzes kreatives Potenzial entfalten können.

Ich sah den Dachboden, seine kalten Ziegel, Balken, dunkle Mauern, den Dreck und erträumte mir einen freundlichen warmen Raum mit charmantem Dielenboden. Wo meine Kinder ihre Spielwelten aufbauen und stehenlassen können. Wo sie mit ihren Freunden feiern. Wo Bandproben und Teeniekreise und Mädelsparties stattfinden. Aber das sind vorerst noch Träume….

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So ist das mit Träumen. Sie sind Geburtsdiener und helfen uns und anderen ins Leben. Träume können auch eine Berührung von Gott sein. Träume sollen uns ein bisschen Angst machen. Wir sind ihnen auf der richtigen Spur, wenn sie uns nachts nicht schlafen lassen, wenn wir sie uns stundenlang bunt vor Augen malen und dieses fliegende Gefühl in der Magengegend bekommen.

Vor langer Zeit hatte ich den Traum von einem Baby. Mein ganzes Wesen sehnte sich mit jeder Faser nach einem Baby, bis es nach quälend langer Zeit endlich soweit war. Vor fast genau zehn Jahren (in zwei Wochen feiern wir Jubiläum!), hielt ich unsere kleine Tochter im Arm, schlafberaubt, hormonüberfrachtet und voller Glück.

Das Familienleben danach sah nicht wie Ramawerbung aus. Sondern es war und ist ein Leben aus echtem Fleisch und Blut: Durchlittene Nächte, Konflikte, Reisen, Neufindung, Haushaltsroutine, Glücksmomente, Erfüllung, Ermüdung. Würdet ihr heute unsere Familie sehen, dann kämt ihr vielleicht nie auf die Idee, wieviel jahrelange Arbeit und Geduld und Durchkämpfen und Entschluss zur Liebe darin steckt.

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Am Anfang steht immer dieser kleine Knoten, der in unseren Herzen und Bäuchen pocht. Der Wärme in jede Ecke unsere Körpers schießt, wenn wir nur daran denken. Der unseren Bauch in ein Karussell verwandelt: Ich möchte schreiben! Ich möchte diesen kalten Raum in etwas Schönes verwandeln! Ich möchte Freunde um meinen Tisch versammeln! Ich möchte Chocolate Chip Cookies backen!

Ohne dieses Pochen würde nichts entstehen auf dieser Welt: Kein einziges Lied und Buch. Keine Familien und Gemeinde. Kein Kunstwerk und kein Restaurant. Keine Herzverpflanzungen und botanische Gärten. Keine Fotografie und keine Frauenrechte.

Wenn ich das Bild lange genug vor Augen habe, dann bekomme ich die Kraft. Dann heißt es Ärmel hochrollen und die dreckige, anstrengende Arbeit verrichten. Durchbeißen. Hinfallen. Aufgeben wollen. Hindernisse überwinden. Und wenn die Kraft ausgeht, nochmal nachlegen.

Gestern haben wir den alten Dielenboden abgeschliffen. Uns klebt noch heute morgen Holzstaub in Augen und Nase. Morgen werde ich in stundenlanger Kleinarbeit den Dachboden säubern. Und dann kommt der Lack auf den Boden. Wenn er trocken ist, wird der Raum endlich zum Spieleland freigegeben. Wofür wir drei Wochen veranschlagt hatten, hat nun fast ein Jahr gedauert. Es fühlt sich gut an, so kurz vor der Ziellinie.

Mit einer Übernachtungsparty weihen wir den Dachboden ein. Unsere Große wird 10. Gemeinsam mit ihren Freundinnen wird sie den frischlackierten Boden mit Chips und Popcorn vollbröseln. Die alten Balken und neuen Wände werden vor Kichern und Toben widerhallen.

Neues Leben. Das ist es, was mein Herz immer wieder höher schlagen lässt. Leben, das wir in die Welt hineinträumen.

2 Kommentare zu „Von Träumen, Dreck und harter Arbeit

  1. Danke. Für diese ehrlichen Worte. Ich vergesse immer und immer wieder, dass ein Traum auch arbeit bedeutet. Unser Garten ist immer noch überwuchert und ich komme nur langsam voran. Mein Traum war ein wunder schöner verwachsener Wunschgarten mit Bauerngarten und vielen Blumen und Gemüse. Ein ur gemütliches Haus, schön weihnachtlich dekoriert. Die Realität: bei uns steht die Herbstdeko noch rum und das ist OK so. Klar wäre es soo einfach, jemanden anzustellen der die ganze Drecksarbeit erledigt, jemanden anzustellen, der mal zu Ikea fährt und an einem Wochenende alle Möbel und Dekozeugs zusammen baut. Et voila, ein Traumhaus. Allerdings würden wir dann das beste versäumen: dieses Gefühl, es geschafft zu haben.

  2. Danke für deinen inspirierendenText.
    In den letzten Wochen (Monaten?) steckte ich so sehr im Alltag – auch mit glücklichen Treffen und Erholungsmomenten – und in der Arbeit, dass ich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr geträumt habe. Träumen … alte, verstaubte Ideen kommen mir wieder in den Sinn. Vielleicht auch neue Spinnereien. Ich freue mich schon richtig darauf. Also vielen Dank fürs Anstubsen!

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