Alles hat seine Zeit

Ich sitze bei iranischen Bekannten im Wohnzimmer und wir diskutieren über Weltpolitik, Freiheit und Flucht. Die kleine Tochter flitzt um unsere Beine, ihre schwarzen Augen blitzen vor vergnügter Frechheit und ihre Locken wippen mit unserem Lachen um die Wette. Der Teenie-Sohn setzt sich fünf Minuten höflich zu uns, bis er  einsieht, dass Erwachsene schrecklich langweilig und kleine Schwestern fürchterlich nervig sind. “Ich mag meine Arbeit nicht,” eröffnet der Vater das nächste Thema. Bevor ich einen banalen Trost aussprechen kann, fährt er fort: “Aber das nicht schlimm. Ich fange mit dieser Arbeit an. Und ich mache jeden Tag. Lerne mehr Deutsch, lerne mehr dazu. Dann vielleicht besser Job.” Im Iran hatte er eine anspruchsvolle, ausfüllende Arbeit. Aber dann kam ihm die Regierung in die Quere und machte mächtig Stress. Mächtig Stress hat im Iran eine ganz andere Tragweite als hier.

Ich zitiere eine Bibelstelle. Das tue ich wirklich höchst selten, weil es in den meisten Situationen aufgesetzt und….irgendwie besserwisserisch wirkt. Aber da wir schon eine halbe Stunde vorher frei von der Leber weg über den Islam, die Bibel, Christen und den Bahai geredet haben, werfe ich ein:

Alles hat seine Zeit. 
Zerstören hat seine Zeit, und Bauen hat seine Zeit.
Weinen hat seine Zeit, und Lachen hat seine Zeit;
Klagen hat seine Zeit, und Tanzen hat seine Zeit.
Krieg hat seine Zeit,und Friede hat seine Zeit.

Der iranische Familienvater versteht und nickt lächelnd. Ja, auch ein bescheidener Job hat seine Zeit. Heimweh und Fremdsein hat seine Zeit. Irgendwann wird wieder die Zeit des Frühlings kommen.

Wir verabschieden uns an diesem Abend auf Persisch und ich bin froh, dass wir diesen warmen Oktoberabend gemeinsam verbracht haben.

Wenn ich auf unser Jahr zurückblicke, erkenne ich nun auch immer klarer, wie alles seine Zeit gebraucht hat.

Einreißen und Aufbauen.

Andere bekochen und tausend Baumarkt-Fahrten.

Pflanzen und Ausreißen.

Erschöpfung und Ausdauer.

Aufbewahren und Wegwerfen.

Umzug und Ankommen.

Fremdsein und erste Kontakte.

Wachsen von Freundschaften und leere Tage im Kalender.

Freude über das, was geworden ist.

Das Ernten der Früchte.

Zeit für Dinge, die mir Freude machen.

Zeit mit Menschen.

Ich war mir Anfang des Jahres sicher, dass ich in ferner Zukunft kaffeetrinkend auf unserer neuen Terrasse sitzen würde. Nur gab es bis zu diesem Punkt tausend Jobs, die ich überhaupt nicht mochte, die schwer waren, die alles von mir forderten. Gäbe es diesen uralten Rhythmus nicht, wie ihn König Salomo beschreibt, dann gäbe es auch keine Hoffnung. Und Hoffnung hält uns am Leben, Hoffnung ist ein Vertrauensvorschuss in die Zukunft, Hoffnung ist ein kleines Stück Glaube daran, dass irgendwann manches gut werden wird.

Wir sind im Werden, Wachsen, immer mittendrin in der Veränderung. Als einzelner Mensch, als Familien und als Völker. Das war zu Zeiten Salomos nicht anders als heute. Gut, dass er den uralten Rhythmus der Menschheit aufgeschrieben hat. Ich kehre immer wieder zu seinen Worten zurück, wenn ich der Zukunft einen Vertrauensvorschuss geben muss.IMG_3582_edited-1IMG_3579IMG_3585_edited-1IMG_3601_edited-1IMG_3591_edited-1IMG_3583_edited-1IMG_3594_edited-1IMG_3597_edited-1IMG_3595.

PS: Am kommenden Samstag, den 21. Oktober bin in der EFG Würzburg. Kommt doch vorbei in die Annastr. 12a zum Frauenfrühstück. Start ist um 9.30 Uhr. Ich freu mich auf euch!!

 

5 Kommentare zu „Alles hat seine Zeit

  1. Ach. Deine Beiträge zu lesen ist immer ein bisschen inne halten, ankommen, verschnaufen.
    Ich muss auch lernen zu aktzeptieren, alles hat seine Zeit. Und manches dauert ein bisschen länger und manchmal (oder oft!) Müssen wir dinge tun, die wir nicht so gerne tun, wie eben abreißen und schuften, aber so gelangen wir shlussendlich doch am ziel, oder?
    Alles liebe!

  2. Heute Abend waren deine Worte ein riesengroßes Trostpflaster für meine Seele. Alles hat seine Zeit- dies göttliche Urprinzip musste ich heute einfach lesen, denn auch Lebensphasen gehen zu Ende und ich verabschiede mich doch so ungern…vor allem, wenn man nicht so genau weiß, wie man sich so weiterentwickeln soll. Der Schreiber schreibt, und dann fallen die Worte in die Herzen der Leser und entwickeln dort ihre ganz eigene Wirkung, in einem ganz anderen Kontext- wenn es gut läuft. Wenn es noch besser läuft, dann heilen sie ein bißchen. Danke dir heute.

  3. Liebe Veronika,
    danke, für diesen schönen Herbstpost und deine mutmachenden Worte!
    Wie gerne wäre ich am Samstag in Würzburg in der EFG dabei! Würzburg ist für mich auch mit ganz vielen schönen Erinnerungen verbunden… Studium, Hochzeit, Geburt der ersten Tochter… Aber dann hat es uns wieder in die “alte” Heimat gezogen…und so bin ich jetzt schon ein paar Jahre wieder Allgäuerin 🙂
    Für solche Veranstaltungen und Angebote würde ich dann aber doch ab und zu gerne mal wieder die Location wechseln 🙂
    Einen ganz schönen Samstag in Würzburg! Ich liebe diese Stadt! Und jedes Jahr im Herbst sind wir dort in der Jugendherberge 🙂 sehr zu empfehlen!

    LG Judith

  4. Ach, ich wollte deinen Beitrag jetzt eigentlich gerade gar nicht lesen, denn jetzt ist für mich eigentlich gerade die Zeit fürs Arbeiten, fürs Schreiben genauer gesagt – fürs Abschlussarbeit schreiben und nicht fürs Surfen und mich inspirieren lassen. Aber glücklicherweise bin ich schrecklich undiszipliniert und habe daher doch drauf geklickt. Was für ein Glück, denn daraus nehme ich jetzt einen ordentlichen Schwung mit für das, was noch vor mir liegt. Liebe Grüße!

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