Vorhin rief meine Mutter an. Ihre Stimme verriet einen Hauch Besorgnis. Ich hatte mich eine Weile lang nicht gemeldet….und seit meinem letzten Blogeintrag ist auch Zeit ins Land gegangen. Meine Eltern lesen eifrig mit und erinnern mich gegebenenfalls immer daran, wenn mal wieder ein Eintrag überfällig ist. Es ändert sich nicht viel in der Eltern-Kind-Beziehung, auch wenn das Kind die 40 bereits überschritten hat. Meine rüstige Mutter mit ihren 80 Jahren steckt gerade selbst im Umzug, hat sich aber ein paar Minuten Zeit genommen, um nachzuhaken und ein paar Low-Carb-Tipps zu geben. Schön, finde ich.
Immer wenn es so fürchterlich heiß ist, dann mache ich mich rar. Denn ab 19 Uhr abends streckt mich die Tropenmüdigkeit nieder. Josefine und ich zählen schon sehnsüchtig die Tage bis zum Herbstanfang. Die Wildkirsche prescht bereits voraus und wirft in fatalistischer Selbstaufgabe gelbe Blätter von sich. Ich würde auch am liebsten alles von mir werfen, aber ich stecke in dieser schwitzenden, überhitzten Haut fest. Grässlich, finde ich.
Meine Gedanken wandern aber heute ganz oft zu einem Wintertag 2009 zurück. Damals schob ich meine Amelie jeden Tag im Kinderwagen durch das kleine Waldbach. Ich kannte damals noch keine Menschenseele im Ort, wir waren erst neu in dieses Hohenloher Örtchen gezogen. Und jeden Tag kam ich an einem 70er-Jahre-Kindergarten vorbei, in dessen Garten Spielgeräte standen, deren Farbe nach unzähligen Jahreszeiten abgeblättert war. Sicherlich kein Vorzeigekindergarten mit ultramodernen Konzepten. Aber da er direkt ums Eck lag, parkte ich an jenem verschneiten Januartag den Kinderwagen vor der Tür, klingelte und meldete Amelie an. Ich hatte ja keine Ahnung.
Ich hatte ja keine Ahnung, dass dieser Kindergarten nicht nur eine pädagogische Aufbewahrungsstelle für mein Kind war, sondern ein Ort des Segens.
Ich hatte ja keine Ahnung, dass meine Kinder hier ihre ersten richtigen Freundschaften knüpfen würden.
Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich hier ebenfalls herzliche Freundschaften finden würde.
Ich hatte ja keine Ahnung, wie sehr meine Kinder das rostige Klettergerüst, die blühenden Bäume und die Puppenecke ins Herz schließen würden.
Ich hatte ja keine Ahnung, wieviel Freude im Laternenlaufen, Apfelernten, Sommerfestfeiern und den vielen kleinen Schwätzchen beim Abholen zu finden ist.
Ich hatte ja keine Ahnung, dass Kindern hier ganz viel Respekt und Liebe entgegen gebracht wird. Ja, auch den schwierigen. Besonders den schwierigen.
Ich hatte ja keine Ahnung, wie sehr hier Gott im Mittelpunkt stehen würde und die Kinder mehr über Weihnachten, Ostern und Pfingsten wissen als so mancher Erwachsener.
Ich hatte ja keine Ahnung, dass das moderne Konzept von Entschleunigung und Simplifikation hier schon immer gelebte Realität ist.
Ich hatte ja keine Ahnung, dass wir einen Kindergartenstammtisch gründen würden, der uns so manche harte Woche versüßt hat.
Ich hatte ja keine Ahnung, wie wertvoll diese Zeit werden würde und dass ich tatsächlich einmal Rotz und Wasser heulen würde, wenn sie vorüber ist.
So ist das heute geschehen. Ich stand mit anderen Muttis im Kindergarten-Garten und überreichte den Erzieherinnen ihr Abschiedsgeschenk. Das war es jetzt? Jahrelang habe ich innerlich meine Kinder gedrängt, doch bitteschön endlich groß zu werden. Und nun ist es passiert und ich möchte die Zeit anhalten.
Wenn ich heute eines gelernt habe, dann dieses:
Wir stecken immer schon drin – in der guten alten Zeit von morgen. Heute, hier, jetzt. Ja, auch die Kindergartenzeit war oft chaotisch, anstrengend, schweißtreibend. Aber manchmal sieht man im Rückspiegel klarer. Vielleicht auch verklärter. Deshalb schreibe ich den heutigen Tag auf: Die Hitze, die Erinnerungen, der Abschied, die Tränen. Der Stolz meiner kleinen Tochter, nun endlich bald Schulkind zu sein. Die Freude meiner Großen, auf ihre zweiten Übernachtungsparty eingeladen zu werden. Die Kaninchen, die zahm durchs Kinderzimmer hoppeln. Das Licht, das am Ende des Tages durch die Gewitterwolken bricht. Der Mann, der nach Feierabend noch tapfer Lampen anschraubt. Der Geruch nach Chlorwasser und der Geschmack reifer Pfirsiche.
Deshalb höre ich nie auf zu schreiben (keine Sorge, liebe Mutti!). Sonst würde ich aufhören zu sehen und zu fühlen.
Liebe Veronika, auch ich habe schon darauf gewartet wieder von dir zu hören bzw zu lesen 😊
Dein blog war für mich die letzten 10 Monate eine von vielen Verbindungen in die Heimat während unsrer Weltreise ( die heute mit einem lachenden und einem weinenden Auge) endet. So haben mich vor allem deine Herbst und Wintereindrücke abgekühlt wenn es mal wieder unerträglich heiß war…
Herzlichen Dank für deinen wunderschönen und ehrlichen blog. Ich hoffe dass ich dich mal live bei einem Auftritt erleben kann.
Liebe Grüße – gerade noch – aus Mexiko
Hallo liebe Sonja, eine Weltreise – wie wunderbar!! Mit Familie? Mexico steht auch noch auf meiner Liste, alleine schon wegen des Essens 😉
Liebe Grüße in die Ferne!
Ein Genuss deine Posts zu lesen…..wow…….ich bin abgetaucht und war grad einfach weg in deinem erzählen……wie schön!
Liebe Vroni, heute muss ich dich zitieren und dabei habe ich etwas wässrige Augen, denn GENAU SO ging es mir vor einem Jahr. 🙂
…” Ich stand mit anderen Muttis im Kindergarten-Garten und überreichte den Erzieherinnen ihr Abschiedsgeschenk. Das war es jetzt? Jahrelang habe ich innerlich meine Kinder gedrängt, doch bitteschön endlich groß zu werden. Und nun ist es passiert und ich möchte die Zeit anhalten. “….
Ich war sehr berührt beim endgültigen Abschied aus dem Kindergarten und es hat wirklich was mit mir gemacht. Ich lebe schon mehr (gefühlt trotzdem noch zu wenig) im Hier und Jetzt ,versuche das Gute in der Grundschulzeit zu sehen und nächstes Jahr ist schon der Abschied aus der Grundschulzeit meines Sohnes…das wird hart, denn er hat eine grandiose Lehrerin.
…und ich zähle auch schon bis zum Herbst. Ich bin kein Sommerkind, liebe Herbst, Frühling und Winter ist auch noch ok, aber dieser extreme Sommer ist mir zuviel. In ein paar Tagen geht es aber in den Urlaub -in den Norden – ab da wird es endlich kühler!
Laß es dir gut gehen und schön, dass das Erinnern deiner Mutter an das Schreiben
gefruchtet hat. 😉
Alles Liebe, Maike
“Wir stecken drin, in den guten alten Zeiten von morgen.” Ach, wie wahr, liebe Vroni. Wie wunderschön deine Beschreibung vom Kindergarten. Mir steigen die Tränen in die Augen (haben ja auch gerade den Abschied hinter uns). Und WIE FROH bin ich zu hören, dass du nie aufhören wirst zu schreiben! Ich schick dir eine dicke, schwitzende Umarmung!!! Der Herbst wird kommen und wir werden uns in die warmen Decken kuscheln und die schönen Sommererinnerungen rauskramen in denen wir heute leben. Bis ganz bald meine Liebe!!!
Was für ein wunderschöner Text. Du hast eine so berührende Art zu schreiben!
Das gilt eigentlich für alle deine Texte, aber heute war es besonders: ich erlebe diese Kindergartenabschiede jedes Jahr – von der anderen Seite. Als Erzieherin.
Da fallen mir dann weinende Mütter um den Hals und ich wundere mich ein wenig.
Wirklich schön, das mal aus dieser Perspektive zu lesen!