Sanft, sanft!

Gestern fragte mich eine Freundin, wie man unabhängiger von der Anerkennung anderer werden könne. Ich überlegte einen Moment und dann sagte ich mit dem Brustton der Überzeugung: “Älter werden.”

Ich weiß nicht, ob das bei anderen auch so ist. Aber für mich ist das Älterwerden extrem heilsam. Ich kenne zwar nicht mehr die Bands, auf die 14-jährige stehen, aber ich ruhe in mir selbst, wie ich es mit 14, 24 und 34 nicht konnte.

In letzter Zeit überhäufen mich Erkenntnisse wie Blätterhaufen meinen Garten. Nachdem das Buchschreiben, der Sommer, einige Lesungen und Fototermine rum sind, ist plötzlich eine Menge Raum da. Raum zum Denken und Reflektieren und Ruhig werden. Morgens setze mich auf den Boden und gehe meinem Atem nach. Horche in mich hinein, an welchen Stellen ich angespannt bin, was mein Körper, meine Seele brauchen. So etwas mache ich normalerweise nicht. Pff, ist doch alles Kram für Pussies!

Normalerweise springe ich aus dem Bett und beginne zu powern. Küche aufräumen! Betten machen! Kinder fertig machen! Blog schreiben! Emails beantworten! Müde? Schnell einen Kaffee! Weiter! Weiter! Putzen! Garten! Noch einen Kaffee!! Wäsche! Fenster!

So geht es ein paar Wochen und dann werde ich krank. Lege ich mich hin? Nein. Ich powere weiter, zwinge meinen Körper, mir zu gehorchen. Nur spricht er eine andere Sprache als mein innerer Antreiber. Er stellt mir ein Bein, wenn ich versuche weiter zu rennen und zwingt mich in die Knie. Meine Schwester lacht immer, wenn wir telefonieren und ich vor lauter Heiserkeit nicht sprechen kann: “Bist du SCHON WIEDER krank???”

Jetzt erst – mit 42 – gebe ich mir Raum für eine Neujustierung. Meine Empfindsamkeit, mein Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug, meine Sehnsucht nach Gemeinschaft, meine Schultern und meine Haut. Ich fange an mit den Anteilen meines Wesens sanft umzugehen, die empfindlich wie Seide sind. Ich hab sie immer mit Vollwaschmittel geschrubbt, weil ich glaubte, sie würden dadurch widerstandsfähiger. Aber wer schon mal Seide mit Vollwaschmittel gewaschen hat, weiß, wie sehr das Gewebe geschädigt wird. Es ist nun mal Seide. Keine Baumwolle.

Seitdem ich langsamer durch den Tag gehe und mir Raum gebe, vollzieht sich ein Wandel. Ich beginne anderen ebenfalls Raum zu geben, gehe sanfter mit ihnen um. img_0487

Heute morgen habe ich einfach mal so eine Viertelstunde mit Josefine gekuschelt (und die Küche war noch ein Dreckloch- Huuuuch!). Meinen Garten vernachlässige ich kläglich. Und dafür habe ich Raum, nachmittags mit meinen Kindern zu spielen. Nach 20 Uhr arbeite ich nicht mehr. Auch wenn viel liegen geblieben ist. Ich schreie nicht mehr sofort HIER, wenn ich Anfragen bekomme. Ich mache am Morgen ein paar Yoga-Übungen, die meinem Rücken und meiner ganzen Körperhaltung so extrem gut tun. Ich rattere meine Gebete nicht mehr roboterhaft runter, sondern werde still. Vielleicht werde ich sogar etwas so Verrücktes tun und mir Massagen verschreiben lassen!

Je älter ich werde, desto lauter sprechen Körper und Seele. Sie wehren sich gegen meine grobe Behandlung und endlich, endlich lenke ich ein und suche Heilung. Ich will nicht mehr wie ein Eisbrecher durch die Tage und Monate und Jahre pflügen und mich selbst dabei verlieren.

 

Meine liebe Freundin Christina hat passend zu meinem inneren Prozess gestern einen wahrhaft wunderbaren Blogeintrag geschrieben. Lesenswert!

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4 Kommentare zu „Sanft, sanft!

  1. Danke für die ehrlichen Worte und den Link zu dem Blockeintrag. So etwas brauche ich zur Zeit, denn ich habe nicht nur Vollwaschmittel, sondern auch noch Bleiche benutzt. Mein Körper ist krank geworden bei den hohen Schleudertouren in den letzten Jahren und trotzdem fällt es mir immer wieder schwer, das zu akzeptieren. Aber ich bremse so gut ich kann. Gott hat schon eingegriffen und mir die Tür zu einer neuen Arbeitsstelle geöffnet mit viel weniger Stunden, den besten Kolleginnen der Welt und endlich in der Diakonie. Es wird….aber es dauert.

  2. Oh das ist wirklich ein guter Beitrag. Vielen Dank.
    Ich bin gerade wieder voll im Kleinkindalltag verstrickt und wünsche mir Zeiten allein, gerade am Vormittag.
    Es ermutigt mich, mir die Zeiten einfach zu nehmen und darauf zu vertrauen, dass Gott mir all die investierte Zeit zurückgibt.
    Danke für deine Texte, sie inspirieren mich!
    Gott segne dich, Anika

  3. Liebe Frau Smoor,
    seit einiger Zeit schon verfolge ich mit großem Interesse Ihre Kolumnen bei Family und habe “Heiliger Alltag” förmlich verschlungen. Es inspiriert mich total. Ihre Texte enthalten so viele Wahrheiten. Mir ist sofort eine Freundin in den Sinn gekommen, der das Buch bestimmt genauso gut gefallen würde. Bitte schreiben Sie weiter, das ist eine ganz große Gabe!! Vielen Dank und ganz viel Kraft zum Arbeiten und Zeiten zum Ausruhen und Auftanken wünscht Ines

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