In meinem Körper zu Hause

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In meinem letzten Eintrag schrieb ich davon, dass die Welt mein Zuhause ist. Ich bin viel von Ort zu Ort gereist und ich konnte mich an einem Lagerfeuer, an einem tosenden Wasserfall, in der Wildnis zu Hause fühlen. Unterwegs war ich so lebendig, das Blut pulsierte durch meine Adern, meine Muskeln spürten jedes Gramm meines Rucksacks. Ich war während meiner Reisen nicht nur in der Welt zu Hause, sondern auch in meinem Körper. Er war oft das einzig Vertraute an einem fremden Ort. Der Rhythmus meines Atems, der Fleck neben meinem Nabel, die Härchen auf meinen Armen. Fühlte ich mich einsam, schlang ich nachts die Arme um mich selbst. Ich hatte mich.

Heute habe ich mich immer noch. Aber ich bin anders geworden. Ein paar Kilo schwerer. Speckfalten, wo früher ein flacher Bauch war. Die Mutterschaft hat ihre weichen, warmen Spuren hinterlassen. Wenn mein Körper mein Zuhause ist, dann habe ich fast mein Leben lang einen ziemlich guten Job erledigt, dieses Zuhause einzureißen. Ich wollte nicht darin wohnen, sondern campierte voller Ablehnung in meinen Vorstellungen von einem Traumkörper. Die Beauty-Industrie und das Fitness-Studio haben einen ordentlichen Reibach mit meiner Selbstablehnung gemacht. Der Selbsthass von uns Frauen ist klingende Münze für einen Multimilliardenmarkt, der nicht müde wird, uns solange Lügen einzuimpfen, bis wir uns zur Unkenntlichkeit verbogen haben.

Ich glaube ihnen nicht mehr: den Zeitschriften, den Pillen und Pulvern, den schönen Körpern von 20-jährigen, den Paleo-Lowcarb-Lowfat-Glyx-Blutgruppen-Diäten. Was ich immer mehr glaube und verinnerlichen will: Jemand hat vor 41 Jahren diesen Körper gebaut, damit ich ein Zuhause habe, in dem ich in Frieden leben kann. Aber ich habe Krieg geführt. Und ich bin dieses Krieges so müde geworden. Langsam schließe ich Waffenstillstand mit diesem Zuhause, das alles andere als perfekt ist.

Heute hörte ich diesen Satz meines Lieblingssängers Bono (in den ich seit 27 Jahren schwer verschossen bin): Die göttliche Dreieinigkeit spiegelt sich in uns wider, weil wir Körper, Seele und Geist sind. 

Unseren Körper auszuklammern, bedeutet, dass wir uns von einem gesunden, vollen Leben abschneiden. Von einem Leben, das Segen empfängt und Segen weitergibt. Von einem Leben, das wir in erster Linie eben nicht mit Seele und Geist, sondern zu allererst über unseren Körper erfahren. Solange wir aber Krieg gegen ihn führen, können wir unser Leben nicht richtig leben. Dann werden wir niemals völlig verrückt tanzen, auf einer Bühne stehen, einen Sommertag am Meer genießen (im Bikini!), Ideen nachgehen, Komplimente machen, Shorts tragen, guten Sex haben, Essen genießen und anderen Mut machen. In der Jagd nach kleinen Kleidergrößen halten wir uns selbst klein.

Ich will lernen, in meinem Körper – so wie er heute ist – zu Hause zu sein. Schon allein meinen Töchtern zuliebe. Andernfalls vererbe ich ihnen einen  Kriegsschauplatz, an dem die nächste weibliche Generation ihr Potenzial und ihre Energie verschleudern wird.

Mein Körper ist mein Zuhause. Ich richte mich zögernd darin ein. An manchen Tagen sind wir schon echt gute Kumpels, da kann ich auch die Speckröllchen fröhlich im Spiegel grüßen. Und wenn ich abends im Bett die Arme um mich schlinge, bin ich ganz bei mir. Der Weg zurück zu mir ist weit und steinig. Aber ich gehe ihn, um zu leben.

 

 

 

 

 

16 Kommentare zu „In meinem Körper zu Hause

  1. “Wenn mein Körper mein Zuhause ist, dann habe ich fast mein Leben lang einen ziemlich guten Job erledigt, dieses Zuhause einzureißen.”
    Jetzt hab ich einen neuen Lieblingssatz… Danke! 🙂
    Und: Du bist bei diesem Kampf nicht allein…ich kämpfe auch. Mal mehr, mal weniger erfolgreich!
    Ich versuche in letzter Zeit immer häufiger, mich durch die Augen meiner Kinder zu sehen: für die bin ich die schönste, weichste Mama der Welt.

  2. Hach, weißt du was? Ich bin gerade so ein bisschen verliebt in dich ;-).
    Gestern stand ich ungelogen fassungslos auf der Waage und konnte die Zahl nicht glauben, die mich da ansprang. Dann habe ich deinen Beitrag gelesen … und jetzt gehe ich mir eine Fotografin suchen, die von mir so ein tolles Bild in einem engen Kleid macht, wie du da oben gepostet hast. Danach hole ich mir ein Eis und schaue mir die drei Kinder an, die mein Körper wunderbar produziert, getragen und genährt hat (bzw. eins immer noch nährt) und dann sage ich ihm, dass ich ihn liebe und behandele ihn fortan auch so 🙂

  3. Vielen Dank für diesen wunderbaren Post!
    Was ist das nur mit uns Frauen, dass wir Jahrzehnte brauchen, um eine Spur von Achtung für unseren Körper zu entwickeln?! Auf andere Lügen der Werbeindustrie falle ich nicht so leicht rein!
    Gott sei Dank schreibst du immer mal wieder so einen Text, der mich daran erinnert, in der richtigen Spur zu bleiben. Mach bitte weiter so!
    LG Elina

  4. Wunderbar geschrieben!
    Das Verrückte ist ja, dass wir gar nicht mal unbedingt zu viel auf die Waage bringen oder groß vom gesellschaftlich vermittelten Schönheitsideal abweichen müssen, um trotzdem diesen Lügen über unseren Körper zu glauben und ihm und uns jahrzehntelang Unrecht zu tun. Bei mir haben meine bisherigen zwei Schwangerschaften keine großen Spuren hinterlassen und ich habe das Glück, viel und so ziemlich alles essen zu können, ohne dies direkt auf der Waage zu sehen. Trotzdem gibt es so viele Stellen, mit denen ich unzufrieden und manchmal richtig unglücklich bin. Was ich sagen will: So lange wir Frauen keinen Frieden mit unserem Schöpfer und dadurch auch irgendwann mit unserem von ihm kreierten und erdachten Körper schließen, wird der Feind seine Lügen so ziemlich jeder Frau egal welcher Konfektionsgröße (zumindest in unserer westlichen Welt mit ihrem extremen barbiehaften Schönheitsideal) einimpfen können, und sich freuen über traurige, unzufriedene verzweifelte, essgestörte… Frauen. Mögen wir ihn diesen Sieg nicht davon tragen lassen!

    1. So ist es. Selbst scheinbar perfekte Frauen sind ja oft unglücklich mit sich selbst. Ich hoffe so sehr, dass wir endlich anfangen, Frieden zu schließen mit dem, was uns gegeben wurde…

  5. Vielen Dank für diesen Post! Er ist großartig!
    Besonders, wenn man sich mal klarmacht, dass mit dem ganzen Hinter-der-Perfektion-Herrennen so viel Energie verschleudert wird, wie du geschrieben hast. Energie, um Freundschaften zu schließen, einander zu ermutigen, ein Buch zu schreiben, eine Ehe zu pflegen, einen Kuchen zu backen und die Nachbarn einzuladen, Energie, die Welt zu verändern, zu verbessern, zu verschönern! Es ist ein Wahnsinn, der sich nur um uns selbst dreht und die Welt zusammenschrumpfen lässt. Und so oft geht es doch nur um eine kleine Ziffer, die im Kragen von dieser Bluse da eingenäht ist oder die Nachkommastelle auf der Waage. Das macht das Ganze noch abstruser!
    Danke für deine Worte!

  6. Ach Verena, Du beglückst mich immer wieder mit Deiner unverfrorenen, ungekünstelter Wahrheit! Vielen Dank für Deine wahren Worte. Ich hoffe, Du darfst Dich selber auch immer wieder damit ermutigen.
    Denke viel an Dich/Euch und hoffe, dass das richtige Haus bald zu Euch kommt! Seid lieb gegrüsst.
    Susanne

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