Vorsichtig schiebe ich im Kinderzimmer Playmobil-Szenarien aus dem Weg. “Hoffentlich das merkt Amelie morgen nicht, sonst gibt es wieder Drama..” Die andere Möglichkeit unbeschadet an Amelies Bett zu kommen, wäre, wenn mir Flügel wüchsen. Das ist bisher nicht geschehen. Also muss ich in der Dunkelheit umhertapsen und mir von Playmobilschwertern die Fußsohlen durchbohren lassen.
Eigentlich muss ich nachts nicht mehr nach Amelie sehen. Eigentlich. Sie ist ja jetzt fast Schulkind und wird mit jeder Minute noch größer und schlauer und unabhängiger. Aber mein Mutterherz muss das schlummernde Kind, das zwischen zerknüllter Bettdecke und zwei Dutzend adoptierter Kuscheltiere und Puppen träumt, ansehen und anhimmeln. Ich kenne nicht mehr alle ihre Träume. Ich weiß nicht mehr haargenau, was sie beschäftigt. In den letzten Wochen findet beinahe unmerklich Veränderung statt. Hier am Bett, nachdem der Lärm des Alltags verebbt ist, wird sie mir bewusst. Ich streiche ihr eine Strähne ihres wilden Haares aus der Stirn, gebe ihr einen Kuss und spüre nach, was sich eigentlich verändert.
Es hat damit angefangen, dass sie sich alleine bettfertig macht. “Mama, ich kann jetzt auch alleine duschen und meine Haare waschen!” Ich war zunächst skeptisch (dieses Kind besitzt von uns allen die größte Mähne!) aber als Mama muss ich jeden Tag neu lernen: Unsere Kinder wachsen über sich hinaus, wenn wir unsere Zweifel runterschlucken und ihnen was zutrauen. Eine Viertelstunde später steht sie sauber vor mir und hält mir den Kamm entgegen: “Aber kämmen musst du, Mama.”
Sonntagmorgen muss ich nicht mehr am Herd stehen. Amelie backt jetzt unsere Pfannkuchen. Ich war zunächst skeptisch, aber dann erinnerte ich mich wieder an meine gute alte Erziehungshelferin Montessori: Hilf dem Kind es selbst zu tun. Also stellte ich mich anfangs neben Amelie, erklärte wie man den Teig anrührt und den Herd anstellt und einen Pfannkuchen unfallfrei wendet. Sie verbrannte sich zweimal den Finger. Aber der Stolz über ihren Erfolg war größer als der Schmerz.
Caillou hat ausgedient. Babykram. Amelie schaut neuerdings Logo – Nachrichten für Kinder. Ich war zunächst skeptisch. “Direkt vor dem Schlafengehen Nachrichten über Krieg und Flüchtlinge und Griechenland? Wird sie die komplexen Zusammenhänge unserer Welt denn überhaupt schon verstehen? Und überhaupt wird sie dann Fragen stellen! Wie soll ich die EU, Bildungspolitik und die Grünen erklären???” Amelie schaltet meinen Beschützerinstinkt und Erklär-Faulheit mit ihrer Begeisterung für Nachrichten und Wettervorhersagen aus. Nach Logo sprechen wir darüber, wie hundsgemein wir es finden, wenn Flüchtlingsheime angezündet werden. Und ich erkläre holprig die Sache mit Griechenland und dem Geld. Dann beten wir gemeinsam. Das heißt Amelie betet – weil sie es ja schon alleine kann. In ihr Gebet um eine gute Nacht lässt sie die syrischen Kinder und den Weltfrieden, die Natur und die Griechen, unsere Katze und Dank fürs Essen mit einfließen. Dann geht sie alleine und mit Frieden im Herzen ins Bett.
Ich bleibe für ein paar ruhige Minuten zurück und spüre nach, wie aufrichtig und voller Dringlichkeit ihr Gebet war. “Bitte höre auf sie, Gott. Wenn nicht auf mich, dann wenigstens auf sie.” Mein Kind geht mit den Nachrichten vernünftiger um als ich. Pragmatisch, positiv, dramafrei. Weil sie ja weiß, dass Gott sich um alles kümmert.
Mein Kind lernt viel. Ich lerne durch sie viel. Sie bringt mir bei, loszulassen, Kontrolle aufzugeben, zu vertrauen, sinnlosen Quatsch zu machen, zuzuhören, Gott machen zu lassen.
Vielleicht ist das unsere größte Herausforderung als Mütter: Unsere Kinder und Gott machen zu lassen. Skepsis tapfer runterschlucken. Und der Welt mit positivem Pragmatismus begegnen.
Loslassen ist wirklich eine ziemlich große Herausforderung. Auf Kinderkram und Camingküche habe ich mich damit auch mal auseinander gesetzt. Ich habe ja auch ein Vorschulkind, allerdings zeigt der noch nicht so viele Anzeichen von Selbständigkeit ☺. Liebe Grüße und weiterhin viel Mut und Vertrauen.
Das mit der Selbständigkeit ist echt was, das man nicht erzwingen kann. Es passiert dann, wenn man gar nicht damit rechnet 🙂 Jedes Kind hat da sein eigenes Tempo – wie beim Laufen- und Sprechenlernen auch. Liebe Grüße zurück!
Liebe Veronika, ich finde das mit dem Loslassen immer noch schwer, dabei sind meine schon zehn und elf. Heute morgen beim Lesen deines Blogs musste ich erstmal tüchtig schlucken und hab ein oder zwei Tränchen verdrückt, denn mir wurde bewusst, dass ich im Moment recht wenig Vertrauen in die Handlungen und Denkweisen meiner Kinder habe und alles unter Kontrolle haben will … das macht mich traurig … aber andererseits ist das Erkennen ja auch eine Chance auf Veränderung. Hast Du heute die Losung gelesen? Wie passend … “…sie sind Menschen, die können ja nicht helfen.” Herzliche Grüße aus WÜ – Anett
Wird es nicht leichter mit dem Loslassen, je älter sie werden?? Hilfe! Wegen dir, Anett, hab ich heute die Losung gelesen. Tatsächlich, wie passend. Ich fühl mich manchmal wirklich wie eine Blinde, die zwei kleine Blinde führt 🙂
Liebe Grüße zurück!
Vielleicht führst du ja auch zwei Sehende … 🙂
Plötzlich habe ich Tränen in den Augen und spüre, wie eine tiefe Sehnsucht in mir berührt wird…
Ich musste bei dem Artikel so manches mal ein wenig schmunzeln, denn das alles kommt mir soooo bekannt vor. Meine Ältesten Kinder sind nun 17 und 18 Jahre alt und trotzdem fällt das Loslassen schwer, allerdings hab ich etwas einfacher , denn auch wenn meine Großen nun so langsam Erwachsen sind und mit beiden Beinen hoffentlich dann im Leben stehen, hab ich noch unser kleines Nästhäckchen die es Liebt betüdelt zu werden;) Fragt sich nur noch wie lange denn im Herbst kommt auch meine kleine Maus nun in den Kiga und wird groß 😀