Mittendrin

Ich quäle mich um 6:15 Uhr aus dem Bett. Am Wochenende. Das schwache Licht ist noch gedämpft und am liebsten möchte ich zurück unter die warme Decke. Aber die Laufschuhe neben dem Bett schauen mich anklagend an. Ich schlüpfe hinein, ziehe mir einen Pulli über, spritze mir Wasser ins Gesicht, stolpere über eine hungrige Katze und schleiche mich leise aus dem Haus.

Selber schuld, denke ich. Musstest dich unbedingt zum Öhringer Stadtlauf anmelden, weil du die Idee so TOLL fandest, in einem schicken Lauf-Outfit mit tausend anderen Verrückten durch die Stadt zu rennen. Es war nicht schwer, im Internet auf “Anmeldung Stadtlauf” zu klicken und per Paypal bequem die Gebühr zu bezahlen. Den Rest des Abends träumte ich Nüsse kauend davon, welch eine umwerfende Figur ich bei dem Lauf machen würde. Am nächsten Morgen holten Wecker und Laufschuhe und schmerzende Knie mich auf den harten Boden der Tatsachen zurück.

So ist es immer bei mir. Eine Idee begeistert mich in der Theorie ungemein. Meine Impulsivität hat mich schon einiges an Nerven und Geld gekostet. “Oh, da steht ein Bungee-Kran! Ich fahr rauf!” “Ich kündige jetzt meinen Job und reise ein Jahr um die Welt!” “Ich schreibe einen Blog. Kann ja nicht so schwer sein – macht ja eh jeder Vollhonk.”

Der Anfang ist immer leicht, ja fast schwerelos, voller kribbelnder Verheißungen. Ich kann vor Aufregung nicht schlafen, weil mein Kopf beschäftigt ist, meine neueste Idee zu verfilmen. Mit mir in der Rolle als Heldin. Ich mag Anfänge. Anfänge kosten mich nichts.

Was ich nicht mag, ist das Mittendrin. Der Part, wenn es anstrengend wird. Wenn ich mit der harten Realitätswährung Nerven-Kraft-Zeit-Disziplin zahlen muss. Wie oft habe ich angefangene Projekte hingeschmissen, weil es mich plötzlich was gekostet hat. Früher hielt ich das “Mittendrin” für Versagen und Zeitverschwendung. Weil alles, was sich schwer anfühlte, nicht richtig sein konnte. Ich habe immer schnell die Hintertür genommen, hin zu neuen Anfängen.

Und dann bin ich Ehefrau und Mutter geworden. Der Anfang? Das war der Moment des Ringtauschs. Der Moment des blauen Strichs auf dem Schwangerschafts-Test. Glückstränen. Kopfkino mit mir als Heldin. Diese Anfänge waren so prickelnd, als hätte ich einen Monatsvorrat Brause auf einmal hinunter geschlungen.

Ich bin jetzt im mittendrin in diesem Leben, das ich mir vor so vielen Jahren erträumt habe. Im Mittendrin, wo es manchmal unfassbar anstrengend ist. Es gibt keine Hintertür mehr, wenn mal wieder Knatsch herrscht, die Kinder nicht gehorchen, der Ehemann so ganz anders reagiert als erwartet und ich zum Umfallen müde bin. Manchmal drohe ich damit, nach Mexiko auszuwandern. Aber es bleibt nur bei einem Lippenbekenntnis, weil mich im nächsten Moment vier Mädchenarme umfangen und mich anbetteln, hier zu bleiben. Und ich bleibe hier. Weil ich das Mittendrin brauche und sogar liebe (manchmal..). Es lehrt mich im Moment zu sein anstatt im Traum bereits der Zukunft nachzujagen. Es lehrt mich, Dinge anzunehmen, die momentan unabänderlich sind. Es lehrt mich, mich Konflikten und Herausforderungen zu stellen, anstatt die Flucht-Tür zu benutzen.

Ich brauche Anfänge, weil sie eine heilige Wegmarkierung in meinem Leben sind. 

Und ich brauche genauso sehr das Mittendrin, weil es der Weg ist, der gegangen werden möchte. Mit allen anstrengenden Höhenmetern, prickelnden Aussichten, Rastplätzen, steinigen Abschnitten, Einsamkeitsgefühlen, Verletzungen, überraschenden Wendungen.

Ein Weg, den ich nicht mehr missen möchte, auch wenn manchmal die Abkürzung an Mexikos Traumstrände lockt.

An der Regnitz copyUnsere Hochzeit vor 10 Jahren. Wie gut, dass ich diesen Mann als “Reisegefährten” auf meinem Weg habe!

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Mit Amelie im Krankenhaus. Damals hätte ich im Traum nicht daran gedacht, dass ich jemals wieder rennen könnte…

5 Kommentare zu „Mittendrin

  1. Oh, du hast so Recht. Danke. Das Mittendrin ist bei mir oft mehr Frust als Freude, weil es so viel Arbeit, Anstrengung und Alltag ist, dass ich mir auch öfter mal einen neuen Anfang (irgendwo, mit irgendwem, irgenwie…) wünsche. Danke, dass du das Mittendrin so bewusst benennst als Teil des Ganzen, auch wenn es oft nervt. Ich wollte all dies ja auch (Mann, Familie, Arbeit, Haus etc.) und gehe oft unter in all den Anforderungen. Manchmal klappt das Rückbesinnen auf die Anfänge, manchmal nicht. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass es in meinem Leben, verglichen mit anderen, zu wenig Neuanfänge gibt. Neuer Partner, neuer Job, Umzug usw., all das kommt bei mir schon seit Jahren nicht mehr vor ;-), und bei etlichen Freunden/Bekannten um die Vierzig plus durchaus. Aber will ich das? Manchmal zweifle ich, weil mir das kribbelnde Glücksgefühl eines neuen Anfangs auch sehr fehlt. Aber dann spüre ich auch ganz oft, wie froh und dankbar ich über die Beständigkeit bin, die zur Zeit in meinem Leben eben auch vorhanden ist.
    Nur schade, dass ich wenig Zeit oder Wege finde, in diese Beständigkeit meines Lebens (genannt Alltag ;-)) ab und zu mal ein “Kribbeln” zu bringen, dafür reicht meine Energie oft nicht mehr. Ich habe angefangen, darum zu beten, das habe ich eeewig nicht getan. Irgendwie spüre ich Zuversicht.
    LG Ute

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