Gestern Abend saß ich mit meinen Mädchen beim Abendessen. Armin war nicht da, er war noch auf der Rückfahrt von einer Beerdigung.
Ich liebe unsere Zeiten zu dritt bzw. zu viert am Ess-Tisch. Nicht, weil sich meine Kinder so exzellent benehmen (das tun sie nicht!) oder weil das Essen immer so vorzüglich wäre (das ist es nicht!). Sondern wegen der Gespräche, die sich dabei ergeben.
Gestern Abend also beim Abendessen. Amelie fragt: “Mama, was ist Alltag?” Mir lag die ironische Antwort auf der Zunge: “Wenn ich tausend stinkende Socken gewaschen und am Ende des Tages denke, ich hätte mal wieder nichts geschafft.” Das habe ich natürlich nicht laut ausgesprochen. Kinder und Ironie, das ist ein gefährlicher Cocktail, der immer in die Hose geht.
Stattdessen: “Das sind Tage, an denen nichts Besonderes passiert, sondern das gleiche wie immer: Kindergarten, Essen, Spielen, Duschen, Geschichten lesen, ins Bett gehen.” Amelie, meine scharfsinnige Sechsjährige verstand sofort: “Aha, dann war heute also Alltag.” Stimmt.
Warum ruft das Wort Alltag in mir Widerwillen und Ablehnung hervor? Diese Frage kam mir einige Stunden nach unserem Gespräch. Weil es immer das Gleiche ist? Tag für Tag für Tag? Weil nichts Besonderes passiert, das mir das Gefühl gibt, wichtig und lebendig zu sein?
Während ich über diese Fragen nachgrübelte, kam Armin heim. Erschöpft und emotional angeschlagen. Er erzählte von seinem Tag auf dem Friedhof, wo Kinder ihre Mutter zu Grabe getragen haben, wo sie voller Unglauben und Grauen dem zukünftigen Alltag ohne den geliebten Menschen ins Auge blicken mussten.
Erst wenn das Leben aus den Fugen gerät, wissen wir das Geschenk des ganz normalen Alltags zu schätzen.
Wenn ich genau hinschaue, sehe ich die vielen kleinen Perlen, die in den Winkeln dieses Alltags versteckt liegen und ihn zum Glänzen bringen. Menschen, die ich liebe und von denen ich geliebt werde. Ein flammender Sonnenaufgang, der mir morgens zuraunt, dass alles gut wird. Frisch gebackenes Brot auf dem Tisch, das von den Kindern verschlungen wird (die Tischmanieren, DIE TISCHMANIEREN!!). Die ersten Kräuter, die zaghaft aus dem Boden schauen. Schöne Worte, die ich in den freien Winkeln meines Tages lese. Schöne Worte von Freunden oder Bloglesern. Das Lachen meiner Kinder. Das Weinen meiner Kinder. Mitlachen. Trösten. Tee.
Es geht mir nicht darum, hübsche Wohlfühlmomente zu schaffen. Sondern meinen Blick für das Besondere neu zu schärfen. Alltag ist, wenn nicht Besonderes passiert? Wir haben uns nur so sehr an ihn gewöhnt, dass wir alles für selbstverständlich halten. Dass uns diese Momente zustehen. Aber seien wir ehrlich: Uns steht nichts wirklich zu – das ist ein Trugschluss. Und wir erkennen das erst oft, wenn uns das Leben um die Ohren fliegt.
Ich bin heute dankbar für meinen stinknormalen Stinkesocken-Alltag. Wie ich ihn liebe!
So, es ist Zeit, Frühstück für die Kinder zu machen. Mal sehen, welche Frage heute auf mich lauern.
Sehr schöner Post, danke. 🙂 Ich bin noch Studentin und gerade in der Prüfungszeit fällt mir auf, wie ich manche Tage einfach abhake (danach, aber davor auch schon), weil ich nur zu Hause gesessen und gelernt habe. Eigentlich schätze ich dabei die ganzen Freiheiten nicht wert, die ich habe – wenn ich zum Beispiel daran denke, dass Mütter wie du wahrscheinlich wenig Ruhe für sich haben. Da kann sich jeder mal überlegen, wer im Moment überglücklich wäre, in dieser Situation zu sein, in der man selbst gerade ist. Ich wünsch dir und deiner Family ein schönes Wochenende. 😉 Anne