Bittebittebitte

Jetzt schlaft ihr endlich. In mir summt noch die Anstrengung des Tages und die Freude darüber, wie ihr ausgelassen im Freien getobt habt. Aber jetzt hat euch der Schlaf eingeholt. Ich könnte euch stundenlang beim Schlafen zusehen. Und ich wünschte, ich könnte die gleiche überschäumende Liebe, die ich in diesem Moment für euch empfinde, auch tagsüber permanent verspüren. 

Aber da war Ärger. Darüber, dass ihr beim Anziehen so gerne trödelt und nach 0.3 Sekunden vergessen habt, um was ich euch gebeten habe. Darüber, dass ihr das Gemüse aus dem Mittagessen pickt und eine halbe Stunde lang nach einem Eis heult. Heute war ich ungeduldig – bitte entschuldigt. Ich hätte gerne so reagiert, wie es die Eltern-Ratgeber verlangen. Aber meine Müdigkeit war überwältigend groß und das Nervenkostüm dünn. 

Dann hast du, Amelie, heute Abend nach dem Zähneputz-Eklat mir weinend gesagt, dass es dich quält. Jeden Morgen und jeden Abend. Du möchtest dir Zeit lassen, dir Geschichten ausdenken, Blödsinn machen anstatt dich ordnungsgemäß anzuziehen. Mein Erziehungs-Höhepunkt des Tages war, als ich dir drohte, du dürftest nicht zur Schule gehen, wenn du weiterhin so trödelst. Da hast du mich zweifelnd angesehen. Und mir wurde klar, dass du langsam in einem Alter bist, in dem du nicht mehr allen hanebüchenen Elternlügen blinden Glauben schenkst. 

Dann haben wir uns versöhnt. Ich habe dir zwei Bücher vorgelesen und wir haben lange auf der Couch gekuschelt. Kurz vor dem Einschlafen hast du mich gefragt, an was Kinder sterben können. Ich wollte nicht lügen, aber ich konnte dir auch nicht die ganze Wahrheit sagen. Ich erwähnte Krankheiten, die es nur “ganz ganz selten” gibt. Amelie sah mich wieder zweifelnd an. In ihrem Blick lagen eine Spur Angst und Zweifel. Ich fühle, wie ich langsam vom Eltern-Thron der Allwissenheit und Allmacht rutsche. 

Was ich ihr dann sagte, war dieses: “Wir passen auf dich auf, Amelie. Gott passt auf dich auf.” Mehr als das kann ich ihr nicht versprechen. Und selbst das ist keine Garantie. 

Jetzt schlaft ihr zwei. Die eine noch ganz kindlich unschuldig. Die andere mit einer leisen Ahnung davon, dass das Leben Untiefen aufweist, die ihr Angst machen. Ich stehe noch einen Moment an ihren Betten und höre ihrem leisen Atem zu. Dankbar. Und mit nur einem großen Anliegen im Herzen: “Gott, bittebittebitte.”

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