Berg- und Talfahrt

imm007_6 KopieEigentlich wollte ich heute einen geistreichen witzigen Beitrag über irgendetwas Müttermäßiges schreiben. Kochen mit Kleinkindumklammerung. Oder Leben mit schlaffer Bauchhaut.

Dann trudelte aber die Email einer Freundin ein, in der sie ihrem Herzen Luft macht. Sie ließ alles vom Stapel, was ein ungewolltes Single-Leben mit sich bringt: „Ich hab’s satt, dass ich alleine bin. Ich hab’s satt, das überall rechtfertigen zu müssen. Ich hab’s satt, ein Leben führen zu müssen, das ich nicht wollte.“ Jeder einzelne Satz traf mich und ließ mich ihren Schmerz schmecken. Es ist nicht so, dass meine Freundin ein verbittertes Jammerpersönchen ist. Im Gegenteil. Sie lacht gerne und viel und sehr sehr laut. Ein Teil meiner Schwerhörigkeit ist ihrer Lache anzulasten. Wenn wir zusammen sind, dann verwandelt uns eine seltsame Metamorphose in kichernde 15-jährigen. Sie ist der einzige Mensch, mit der ich mich ausgiebig über Literatur austauschen kann und die ohne Furcht bei einer Dinnerparty mein Brautkleid vorführt.

Ich will ihr helfen und bin hilflos. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich alles das habe, nach dem sie sich sehnt, inklusive Kleinkindumklammerung und schlaffer Bauchhaut.

Was soll ich antworten? Der Richtige kommt noch? Genieß dein Single-Leben doch? Ehe und Familie werden überbewertet?

Was ich ihr und mir und allen anderen Frauen tatsächlich zurufen will: Du bist zutiefst umkämpft und du bist zutiefst geliebt. Ich selbst habe das nie stärker erlebt als in der Baby-Phase. In vielen einsamen Nächten wiegte ich mein Baby im Arm, summte Lieder, und sehnte mich so sehr nach Schlaf wie noch nie in meinem Leben. Manchmal brach ich um vier Uhr morgens verzweifelt in Tränen aus. Die Schmerzen in meiner Brust brachten mich fast um. Und ich war überzeugt, dass alle anderen Menschen auf diesem Planeten gerade selig schlummerten oder Golf spielten oder Cocktails schlürften oder entzückende Mode in Größe 36 shoppten.

Ich liebte meine Babies mit einer Liebe, die ich bis dahin nicht gekannt hatte. Und ich wusste, dass Gott mich für absolut fähig hielt, mir diese kostbaren Wesen anzuvertrauen. An vielen Tagen schäumte ich über vor Glück und in vielen Nächten brach sich Verzweiflung Bahn. Heute, nachdem ich meinen Verstand wieder mühsam zusammengepuzzelt habe, sehe ich im Rückblick klarer.

Es muss nicht immer ein Entweder-Oder sein: Entweder ich bin eine gute Mutter oder eine schlechte Mutter. Entweder ist mein Leben nur ein Kampf oder eine Steilvorlage für Rama-Werbung. Entweder mein Kind funktioniert oder es braucht Förderung.

Wie bei meiner Freundin dürfen Lachen und Lebenslust neben Schmerz und Kampf stehen. Wie in meinen Babyjahren darf Glück neben Unsicherheit und Verzweiflung stehen. Wenn wir durch eine Landschaft wandern, liegen Täler und Höhen nebeneinander. Beides darf durchschritten werden. Und niemals wandern wir alleine. In meinen einsamen durchwachten Nächten war Gott dabei und wiegte mich in seinem Arm. Und manchmal schickte er Menschen vorbei, die mir meine Wäsche bügelten oder meine Kinder hüteten.

Meine Kinder wachsen heran. Ich wachse. Meine Freundin wächst. Nicht weil alles nach Wunsch läuft und wir bisher alle Schwierigkeiten vermeiden konnten. Sondern weil wir uns dem Leben mit all seinen herrlichen Höhenzügen und angstmachenden Tälern stellen.

2 Kommentare zu „Berg- und Talfahrt

  1. Oh, ich kann deine Freundin sehr gut verstehen!! Ich war auch 36 Jahre, als ich meinen Mann (den ersten Mann in meinem Leben) kennenlernte. Heute bin ich seit fast 3 Jahren glücklich mit ihm und seit 2 Jahren verheiratet.

    Bis zu diesem Zeitpunkt aber war ich Singlefrau. Ich habe auch diese Zeit intensiv genossen mit allen Aktivitäten, Freiheiten und Geselligkeiten, die so ein Junggesellenleben mit sich führt. Aber ich hatte auch gewaltige Tiefen, Zeiten wo ich dachte, warum lebe ich überhaupt, wenn ich eh zu nix nütze bin und mich keiner will. Wie oft habe ich mich gefragt, was mir fehlt, damit ein Mann mich toll finden kann, usw.

    Wenn ich nicht 2 sehr gute Freundinnen und wirklich sich vorbildlich verhaltende Frauen in meiner engen Familie gehabt hätte, wäre ich sicherlich heut nicht die, die ich bin. Ich bin diesen Frauen zutiefst dankbar, dass sie all mein Gejammer, mein Nöhlen, meine Tränen und sicher draus auch oft resultierenden Zickigkeiten so geduldig und ermutigend begleitet haben.

    Es war eine manchmal schwere Zeit, aber die meiste Zeit war ich froh, dass ich so vieles mit und von meinem HERRN lernen durfte in dieser Zeit, was mancher meiner Freundinnen und Bekannten nicht gegeben war bzw. es mit viel mehr Schmerz und “Umstand” verbunden war durch den Anhang.

    Ich möchte jeden “späten” Single ermutigen festzuhalten, dass sein Weg in guten Händen ist und sich nicht von unsensiblen Mitmenschen, die ich natürlich auch an jeder Ecke getroffen habe (besonders toll fand ich immer Mütter, die jünger waren als ich und mindestens schon 3 Kinder hatten, mir aber sagten, ich hätte “das bessere Teil” nach Paulus erwählt), entmutigen zu lassen.

    Deiner Erzählung nach bist auch du eine super Freundin! Ich wünsche euch noch viele Schöne gemeinsame Zeiten und deiner Freundin den für sie bestimmten Mann an ihrer Seite – zu der Zeit, die nur der HERR selbst weiß und bestimmt.

    LG Christina

    1. Danke für Deine Offenheit, Christina! Dein Kommentar ist sehr mutmachend und ein Zeugnis dafür, dass sich Dinge ändern können. Und dass Freundschaften lebensnotwendig sind.
      Liebe Grüße!

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