“Mama, hör auf zu schreien.” Amelie schaut mich vorwurfsvoll an und stemmt ihre Ärmchen selbstbewusst in die Seite.
Ich fühle mich ertappt. Mal wieder. Ausgerechnet durch meine Tochter, der gerade mein Ärger gilt. Selbiger war gerade noch ein lodernder Waldbrand. Amelies Worte lassen das Feuer zu einem traurigen Häufchen Asche zusammenfallen. Ich ringe mir ein Lächeln ab, fahre ihr durchs Haar und sage: “Du hast recht. Entschuldige, dass ich dich angeschrien habe.” Und dann erkläre ich ihr den Grund für meinen Ärger.
Meine Tochter lehrt mich, meine Gefühle anzuschauen. Und genauso wichtig: sie zwingt mich immer wieder sie zu spiegeln. Genau das tue ich nach meinem Ausbruch. Ich sage ihr deutlich, was mir an ihrem Verhalten nicht gefallen hat.
In letzter Zeit habe ich mich oft dabei erwischt, dass ich zuviel geschimpft, zu viel geschrien, zu viel gegrollt habe. Eigentlich wollte ich nur, dass meine Kinder funktionieren und genau das tun, was mir gerade in den Kram passt. Sie sollten saubere, wohl erzogene, zimmeraufräumende, fromme, soziale Engelchen sein. Kurz: die Ingall-Kinder von “Unsere kleine Farm”.
Ich muss mich immer wieder von meinen Wunschvorstellungen lösen. Die Vorstellung, wie meine Kinder sein sollen. Ich hätte gerne Kinder, die SOFORT auf meine Befehle reagieren. Ich hätte gerne Kinder, die immer gerne teilen, gerne mithelfen, die mutig und offen sind. Und die die gleiche Abneigung wie ich gegen die Farbe Rosa und Schweinefleisch hegen.
Amelie ist so: Verträumt, verspielt, vorsichtig, konservativ, kompromissbereit, sie liebt die Farben Rosa und Lila, sie hasst es, fotografiert zu werden, sie hat wenig Interesse an Musik und Malen und Tieren, sie verkleidet sich gerne, sie liebt Geschichten, spielt am liebsten Vater-Mutter-Kind und liebt Oliven.
Josefine ist so: Eigenwillig, stur, verschmitzt, schnell frustriert, bewegungsfreudig, verspielt, sie liebt Puppen und Äpfel und ihre Schwester und Wasser, sie ist geduldig, redselig, mutig und hasst Erdbeeren und Schokoladenpudding.
Ich möchte heute meine Vorstellungen hinter mir lassen und neu entdecken, welche Schätze hinter all dem alltäglichen Chaos und in meinen Kinder liegen. Meine Ungeduld, meine Unzufriedenheit hat sich in letzter Zeit auf meine Kinder übertragen. Oft vergesse ich, dass sie ein sehr feines Gespür besitzen und wie schnell sie dann verunsichert sind. Loslassen bedeutet für mich zunächst einmal Kontrollverlust verbunden mit Angst (“Hilfe, wir werden alle an dem Chaos sterben!!”). Aber machmal kann erst im -vermeintlichen- Chaos etwas Neues, Schönes aufblühen. In Freiheit können meine Kinder erforschen, sich austesten und an ihre Grenzen stoßen.
Der Kontroll-Freak in mir muss weniger werden / das Lachen, das Wilde, das Einzigartige in unserer Familie muss mehr werden.