Stürmische Zeiten II

Litchfield – Mystic (Connecticut)

Angst ist ab einem bestimmten Punkt nicht mehr kontrollierbar. Dann hat sie einen gefangen. Und so geht es mir gerade. Es ist 9 Uhr abends, ich liege im Bett und lese (My sister’s keeper). Aber die Worte, die ich lese, ergeben keinen Sinn und bleiben nicht haften, denn draußen stürmt es weiter. Der Orkan heult und pfeift mit Gewalt um unseren Camper. In der Ferne höre ich das Knacken von Bäumen. Abgerissene Zweige und Tannenzapfen trommeln aufs Dach. Und ich habe Schreckensszenarien vor Augen: Entwurzelte Bäume, die auf unser Dach kippen, Äste, die durchs Fenster schlagen. Armin schläft schon, aber ich bitte ihn, am Office nachzusehen, ob jemand da ist und der uns in das Gebäude lassen kann (im Geiste hab ich schon unser Notlager dort aufgeschlagen). Verpennt läuft er durch den Sturm, nur um festzustellen, dass lediglich die Jungs vom Elektrizitätswerk da sind und die gerade den abgerissenen Strommast wieder flottmachen. Das beruhigt mich dann, denn die würden ihre Arbeit nicht ausführen, wenn es zu gefährlich wäre. Irgendwie erleichtert und mit weniger Angst stopfe ich mir Ohropax in die Ohren, und es herrscht herrliche Ruhe!

Mit weniger Schlaf als sonst starten wir am Morgen unsere vorletzte Etappe. Unser heutiges Ziel ist das altehrwürdige Yale in New Haven. Wenn ich schon nie studiert habe, dann will ich wenigstens damit angeben können, bedeutungsvolle Uniluft geschnuppert zu haben (und nun einen Pulli mit dem Yale-Schriftzug zu besitzen, hehe!).

Auf dem alten Campus
Auf dem alten Campus

Ein paar interessante Fakten:

  • Im Durschnitt kosten zwei Semester 26.000 US Dollar (da darf man ja schon Jahre vor der Geburt seines Kindes das Sparen anfangen!).
  • Die Bibliothek ist eine der größten weltweit (wir waren kurz drinnen, sehr einschüchternd….).
  • Im weltweiten Ranking belegt Yale den Platz 3
  • Bekannte Absolventen: George W. Bush, Bill Clinton, Jodi Foster, Paul Newman, Hillary Clinton, Karl Carstens, Meryl Streep, Chris Noth und noch ne Handvoll Pulitzer- und Nobelpreisträger..

So, und durch diese heiligen Bildungshallen schleichen wir auf Zehenspitzen, Amelie testet die Hallfähigkeit der Bibliothek (Ja, es gibt ein schallendes, peinliches Da-Da-Da-Echo!). Der Campus ist weitläufig und direkt in der Innenstadt. Starbucks z.B. ist bevölkert von Kunststudenten, die, beflügelt von ihrem Frappuccino Venti, Skizzen entwerfen. Das Starbucks-Fenster ist zugepflastert mit Zeichnungen, die alle wie schlechte Tattoo-Entwürfe aussehen. Nun gut, ein Yale-Studium garantiert nicht unbedingt für Talent.

Dass hier viel geboten wird und politisch einiges los ist, sehen wir auch auf den Schwarzen Brettern: Ein Bildvortrag über die Flüsse im Himalaya (jaa, wenn das TV-Programm nichts hergibt, würd ich da vielleicht hingehen), eine Vorlesung der israelischen Oppositionsführerin Livni, haufenweise Open-Mics-Events (da kann jeder seine selbstgeschriebenen Gedichte, Lieder, usw. vor Publikum vortragen), Antiabtreibungsplakate neben Pro-Abtreibungsplakaten, usw.

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“Schau mal Amelie, das wird dein zukünftiges Wohnheim sein. Und hier wirst du dann Dates mit zukunftsversprechenden Jura-Absolventen haben.” (Letzterer Kommentar ruft Armininischen Widertstand wach!). Ich behaupte zwar immer ganz felsenfest, dass Amelie jeden Bildungsweg einschlagen kann, den sie möchte. Und wenn es bedeuetet, dass sie Bäckereifachverkäuferin wird oder bei der Müllabfuhr arbeitet. Aber wenn ich ganz ganz ehrlich bin, so ganz heimlich wäre ich natürlich schon seeeehr stolz, wenn sie einen Hochschulabschluss machen würde. Was mir aber auch wichtig  ist: dass wir Amelie so erziehen, dass sie gute Entscheidungen treffen kann. Und dass wir sie fördern möchten, egal, für welchen Weg sie sich entscheidet. Ihre Mama hat ja auch einen sehr bunten Werdegang hinter sich, da kann ich mich selbst schlecht als “gutes Beispiel” hinstellen. Höchstens als Beispiel für ein “Trotzdem”: trotzdem bin ich nicht ganz dumm geblieben, trotzdem fühle ich mich wohl in und mit meinem Leben, trotzdem verfolge ich Ziele und Träume.

Amelie vor ihrem zukünftigen Wohnheim
Amelie vor ihrem zukünftigen Wohnheim

Genug der tieferen Gedankengänge – zurück zum Schauplatz der Highwaycowboys und Schlaglöcher: die Straße. Wir sind müde, zählen die endlos erscheinenden Meilen bis zu unserem letzten Campingplatz und unsere Gedanken eilen schon unserem Ferienhaus auf Cape Cod entgegen.

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