Über die Dankbarkeit

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Ich habe die Dankbarkeit aus dem Blick verloren. Wieviel leichter ist es, sich in Dinge zu verbeißen, die einen stören: wenn das Kind nachts zum vierten Mal aufwacht, wenn der Mann beim Abwasch eine schmutzige Gabel übersieht, wenn aus der Dusche stinkendes Abwasser quillt, wenn der Rauchmelder jedes Mal beim Kochen Alarm schlägt, wenn wir eine Sehenswürdigkeit aus Zeitmangel abhaken müssen usw.

Gestern, nach unserer Ankunft in Quechee, ging ich mit Amelie im Buggy spazieren, dick eingepackt, denn es war frostig. Wir steuerten den Campingplatzladen an, wo ich dann ins Gespräch mit den zwei Angestellten, einem älteren, liebenswürdigen Ehepaar kam. Nach dem üblichen Geplänkel (where are you from blablabla), stellten sie interessiert Fragen über Amelie und waren entzückt über unsere Kleine. Sie erzählten mit leuchtenden Augen von ihrer Urenkelin: “Sie ist zwei Jahre alt, aber wiegt kaum soviel wie Amelie.” “Wieso das? War sie eine Frühgeburt?” “Nein, sie ist schwerstbehindert”, so lautet die Antwort. “Sie kann sich weder bewegen, noch selbständig atmen.” Ihre Fröhlichkeit beim Erzählen steht im völligen Kontrast zur nächsten Aussage: “Sie wird ihren zwölften Geburtstag nicht erleben.” Die Frau fährt fort: “Sie ist jemand ganz besonderes, ein Geschenk von Gott. Vor der Geburt hatte unsere Enkelin ihr Leben ziemlich an die Wand gefahren, aber durch ihre Tochter hat sie es wieder in den Griff bekommen. Sie geht jetzt sogar zur Kirche.”

Nachdenklich schlendere ich zurück zur dicken Berta. Ich lege die sich sträubende Amelie aufs Bett, ziehe ihr die dicken Klamotten aus und plötzlich schäme ich mich über all die Kleinigkeiten, die in meinem Herzen viel zuviel Platz eingenommen hatten und mich zu vergiften drohten. Ich fasse den Entschluss, meine Gedanken und mein Herz zu schützen und gute Gedanken zu denken, dankbar für das Geschenk des Lebens zu sein und fröhlich den Widrigkeiten des Lebens gegenüber zu treten (auch wenn Jauche aus der Dusche gluckert….). Das Leben ist zu kurz, um blind an den Geschenken des täglichen Lebens vorüberzugehen und sich stattdessen in der Sch… zu wälzen.

Dankbarkeit führt zu Zufriedenheit. Zufriedenheit zu Ausgeglichenheit. Ausgeglichenheit ist der Nährboden für geistliches Wachstum und Liebesfähigkeit.

Wofür ich heute dankbar bin:

1. Pfannkuchen mit Ahornsirup zum Frühstück (meine Listen werden vom Essen dominiert)

2. Ein quietschvergnügtes Ameliegesicht, das mich als erstes am Morgen begrüßt hat

3. Zeit zum Reden, zum Nachdenken

4. Ich habe endlich wieder W-Lan!

5. Eine Email, die mein Herz erwärmt hat

6. Endlich wieder richtig Duschen können (hier gibt es riesige Duschkabinen, in denen ich beim Duschen Walzer tanzen kann!)

7. Die Sonne, die heute morgen durch den Herbstnebel gebrochen ist.

8. Der Duft nach Kiefernnadeln

9. Dass ich ok bin, so wie ich bin

10. Für einen Mann, der mich geduldig erträgt 🙂

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