Penobscot Bay – Glen (New Hampshire)
Alter Schwede, ist der Sprit billig in den USA (diese Aussage würde bei 99% der Amis zu einem Aufschrei der Entrüstung führen)!!! Aber so ist es, eine Tankfüllung der dicken Berta kostet uns umgerechnet ca. 80 Euro. Ha, soviel hat es zu besten Zeiten gekostet meinen prächtigen Ex-Honda zu befüllen.
Heute haben wir die größte Wegstrecke zu bewältigen und sind schon früh auf den Beinen. Aber bevor Armin die dicke Berta anschmeißt, gehe ich mit Amelie noch zum Meer hinunter. Der abschüssige Weg wird rechts von einem kleinen Wasserfall gesäumt, der dann rauschend ins Meer stürzt. Es ist so traumhaft schön hier, besonders heute Morgen, denn die hervorbrechende Sonne taucht den noch nassen Wald in glanzvolles Licht.
In den letzten Tagen haben sich Armin und ich immer wieder angenervt – es erfordert ein hohes Maß an Toleranz und Geduld, wenn man auf engstem Raum zusammenwohnt und gemeinsam alles organisieren muss. So kann die Suchaktion nach der verlegten Sonnenbrille schnell zum Zündstoff werden („Boah, ist ja klar, dass dir das bei deiner Unordnung passiert!!“) Oder die Anfrage, wer als nächstes Amelies Stinkewindel entsorgen darf. Oder die Frage, ob es nach Gray rechts oder links abgeht (Armin: „Wir müssen rechts.“ Ich – sehr bestimmt: „Quatsch nicht, das sieht doch ein Blinder mit Krückstock! Es geht nach links. Mach die Glotzer auf und guck auf das Schild vor uns!“ Amelie: “Da-da-da-da-da!” Armin: „Ähm, Vroni, auf dem Schild steht, es geht nach rechts.“ Ich: „Nein, tut es nicht!“ Armin: „Hä? Tut es freilich!“ Ich: „Jetzt bieg endlich links ab!!“ Und hinter uns stauen sich die geduldigen amerikanischen Autofahrer, die wohl angesichts der dicken Berta und ihrer verwirrten Crew Nachsicht walten lassen. Um das Rätsel aufzulösen: Es ging natürlich rechts ab. Punkt an Armin). Es ist Eheleben und manchmal auch Eheleiden. Aber wir kommen mit jedem Tag besser klar und heute ist so ein Tag, an dem wir in bester Laune und ehelicher Einvernehmlichkeit gen Westen fahren.
Mittags machen wir bei Subway Halt und holen uns ein Sandwich. Wie war das eigentlich bei meinem jungferlichen ersten Subwaybesuch vor einigen Jahren in Australien? Ich glaube, ich stand mit knallrotem Kopf vor dem Tresen und war sichtlich überfordert, mit der Auswahl an Brotsorten, Belägen, Gemüse, Käseoptionen und Soßen, die in Sekundenschnelle auf mich abgefeuert wurde und eine ebenso schnelle Reaktion erforderte. Irgendwie schien jeder in der Reihe vor mir routiniert zu wissen, wie dieser geheimnisvolle und höchst komplizierte Bestellprozess vor sich zu gehen hatte – nur mir fehlte dieses Wissen und so stotterte ich hilflos herum, bis ich mein Thunfisch-Sub in den Händen hielt. Jahrelang bestellte ich immer dasselbe, aus Angst, dass meine hart eingeübte Souveränität durch die geringste Abweichung von dem Gewohnten ins Wanken geraten könnte. Armin kommt mit einem buntgefülltem Sandwich zurück, von dem er selbst nicht weiß was da jetzt eigentlich drauf gelandet ist (nur die Verkäuferin hatte bei seiner hilflosen Bestellung etwas irritiert geschaut).
Der Genuss meines Subs hält nicht lange an, denn ein Notfall erfordert mein schnelles Eingreifen. Nein, diesmal handelt es sich nicht um eine Amelie-hat-den-Brei-der-letzten-drei-Tage-verdaut-Attacke, sondern um etwas olfaktorisch weit aus Schlimmeres: das Ammoniak-Putzmittel ist unter der Spüle ausgelaufen und verbreitet seinen bestialisch-beißenden Gestank. Dagegen sind Amelies Hinterlassenschaften wahre Rosenbeete! Ich putze die Sauerei hektisch auf, das Ammoniak beißt sich in Nase und Lunge fest. Auf der Weiterfahrt fühle ich mich benommen, regelrecht high. Und gleichzeitig ist mir übel. Ich habe eine Überdosis Ammoniak abbekommen und sehne mich nach meinem guten deutschen Essigreiniger.
Unser Endziel sind heute die White Mountains in New Hampshire. Das erste, was uns auf unserem Campingplatz ins Auge springt, sind Warnplakate vor Bären. Na prima. Als ich mich dann nach Sonnenuntergang noch alleine ins Freie setze, ist mir dabei unheimlich zumute. Ständig drehe ich mich nervös um, könnte ja sein, dass ein unwirscher Braunbär oder ein irrer Massenmörder mir seinen todbringenden Atem ins Genick haucht. Das einzige, das mich aber attackiert, sind wie immer die lästigen Stechmücken. Trotzdem fühle ich mich heute Abend sicherer in der dicken Berta. Hoffe, heute Nacht klopft kein hungriger Bär an mein Fenster – irgendwie ist mir schon mulmig zumute, denn uns würde nur eine dünne Metallwand trennen, die für kräftige Bärentatzen sicherlich kein zu großes Hindernis darstellen würde. Grusel.