Fuck the Klischee

Cape Ann – Gloucester – Rockport

Um 3:15 Uhr bin ich wach. Wälze mich hin und her. Alle Versuche, mich zum Einschlafen zu bringen sind fruchtlos und so warte ich ab, bis das erste graue Morgenlicht zwischen den Bäumen erscheint. Ich brauche Kaffee und bin enttäuscht von der dünnen Suppe, die ich gebraut habe. Bäh. Missmutig sitze ich an unserem Campingtisch. Als dann aber die ersten Morgenstrahlen durch die Bäume brechen und alles in goldenes Licht tauchen, komme ich in Reisestimmung. Die Art von Stimmung, die mich an fremden Orten manchmal überfällt und mich mit Neugier und unbändiger Lebensfreude erfüllt. Die Freude wird aber immer wieder von den alltäglichen Pflichten und Aufgaben gedämpft, die mir auch im Urlaub nicht erspart bleiben. Kind stillen, wickeln, kochen, abwaschen, aufräumen, putzen. Armin ist zuständig für die technischen Seiten unseres Campinglebens: Abwasser entsorgen, Feuerholz besorgen, den Wasserstand kritisch begutachten und darüber hinaus fungiert er als Spaßmacher für Amelie.

Nach diesen profanen Tätigkeiten können wir am Vormittag endlich aufbrechen und mit unserem klobigen Wohnmobil über enge Straßen und durch malerische Städtchen poltern. Nicht weit von unserem Campingplatz liegt ein menschenleerer Strand. Das Wetter meint es gut mit uns und so darf Amelie zum ersten Mal in ihrem kurzen Leben Sand und Salzwasser ertasten und erschmecken…..und hat eine Riesenfreude daran.

Vom Meer begeistert!
Vom Meer begeistert!

Vor der Reise hatte ich Bedenken, wie Amelie all die neuen Eindrücke, die sie geballt überfallen werden, verkraften wird. Wir stellen fest: Amelie steht total aufs Reisen! Sie begegnet allem und jedem mit einem eisbergschmelzendem Strahlen und Freudenjuchzern: Möwen, Wellen, Booten, dicken alten Opas, dem Wind, bunten Häusern.

Wir holpern geschirrklappernd nach Gloucester, dem wichtigsten Fischereihafen der USA. Hier spielt auch der Film „Der Sturm“ ( mit George Clooney). Als erstes begrüßt uns ein Fischerdenkmal, das zu Ehren aller zu Tode gekommenen Fischer steht. Mich berührt das. Denn hier sind in einer 6 Meter langen Tafel 5300 Namen von Fischern aus Gloucester verzeichnet, die auf dem Meer den Tod fanden. Zum Beispiel gingen in einer Sturmnacht 1879 20 Fischkutter unter. 150 Männer fanden den Tod. Ich stelle mir vor, was das für die Frauen und Kinder bedeutete. Mich fröstelt. Auf den Dächern der älteren Häuser an der Küste ist manchmal ein so genannter Witwensteg zu sehen. Hier kletterten früher die Ehefrauen hinauf, um sorgenvoll Ausschau nach dem Kutter ihrer Männer zu halten. Gloucester ist eine Stadt, die sich zwar bemüht für Touristen herauszuputzen, aber den Geruch nach harter Arbeit, Fisch und Melancholie nicht verstecken kann.

Mittags essen wir stilecht Hummer. Meine Premiere. Ich bin unbeholfen und lasse mir von der Bedienung die fachgerechte Zerteilung des Meerestieres zeigen. Mein Vegetarierherz blutet…und trotzdem sind alle Zweifel schnell vergessen, als ich das weiße Fleisch in geschmolzene Butter tauche und genieße! Unser nächstes Ziel Rockport steht im totalen Kontrast zu Gloucester. Prachtvolle, edle Villen thronen über dem ruhigen blauen Meer (in Gloucester erschien es grau und aufgepeitscht), herrliche Gartenanlagen und weißgetünchte Cottages wie aus der Zeitschrift „Country and Living“ säumen den Weg. In der Innenstadt reihen sich kleine, buntgestrichene Holzhäuschen aneinander. Sie beherbergen entweder Galerien, in die ich sofort entschwinde, wenn sie Fotografien ausstellen, Eiscremeläden, Lobsterbuden und Touristenramsch (My Granny went to Rockport and all I got is this lousy T-Shirt). Wenn man allerdings von dem Touripfad abweicht, steht man plötzlich vor windschiefen Hütten der Hummerfänger, vor denen sich bunte Hummerbojen und Fangkörbe stapeln.

Auf dem Rückweg zum Camper lockt mich das Meer. Und so genieße ich den Vorteil des Campers, ziehe mir schnell den Badeanzug an und springe ins kühle Nass. Kühl ist untertrieben! Deswegen ist der Strand fast menschenleer, das Wasser hat eine gefühlte Temperatur nahe dem Gefrierpunkt. Da aber einige Leute am Strand Sonnenbaden, will ich mir keine Blöße geben und spiele die Tapfere, tauche ein paar Mal fast sterbend unter und entschwinde dann ebenso würdevoll langsam schreitend ins Wohnmobil und unter die heiße Dusche.

Happy Amelie in Rockport
Happy Amelie in Rockport

Abends dann sitzen Armin und ich bei einem Lagerfeuer und unterhalten uns über Klischees, die wir Deutsche gerne über die Amerikaner pflegen und diese nur ungern auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen. Richtig ist zwar, dass fast jedes Klischee einen winzigen Kern Wahrheit in sich trägt, aber sie errichten auch Barrieren. Ich habe mein Gegenüber bereits in eine Schublade gepackt und bin nicht offen dafür, die Person tatsächlich kennenzulernen. Daher empfinde ich Klischees als lieblos und beziehungsfeindlich, sie würden mich dazu verleiten, ständig nach Bestätigung zu suchen. Ich möchte Amerika bereisen ohne den Ami bereits als oberflächlich, großmäulig und materialistisch abgestempelt zu haben. Wahrscheinlich rührt meine Empfindlichkeit Klischees gegenüber aus meinen vielen Reisen, auf denen ich selbst immer wieder mit deutschen Klischees konfrontiert wurde. Das reichte von „You Germans have no sense of humour“ (Hallo?? Ihr müsstet mal Helge Schneider erleben!!) bis hin zu “You fucking Nazi”. So, jetzt schmiert gleich der Akku ab, also Schluss für Heute!

Ein Kommentar zu „Fuck the Klischee

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